Fritz Gross http://fritzgross.de Freier Regisseur / Oper & Schauspiel Thu, 23 Jun 2011 09:04:49 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=4.2.2 The Fairy Queen/Ein Sommernachtstraum (Purcell/Shakespeare) http://fritzgross.de/2010/09/the-fairy-queenein-sommernachtstraum-purcellshakespeare/ http://fritzgross.de/2010/09/the-fairy-queenein-sommernachtstraum-purcellshakespeare/#comments Tue, 14 Sep 2010 15:41:10 +0000 http://fritzgross.de/?p=341 The Fairy Queen/Ein Sommernachtstraum

The Fairy Queen (konzertant)
mit
Johanna Winkel, Sopran
Arianna Savall, Sopran
Christian Dietz, Tenor
Michael Dahmen, Bass

Süddeutscher Kammerchor
Main Barockorchester Frankfurt
Leitung: Gerhard Jenemann

Ein Sommernachtstraum (szenische Lesung)
mit
Nina Baldinger
Friedemann Eckert
Robert Naumann
Alina Rank
Martin Schultz-Coulon
Marie Smolka
Ole Micha Spoerkel

Ausstattung:
Catherine Decelle
Katja Wagner

Henry Purcells The Fairy Queen von 1692 übersetzt das Wesen von Shakespeares Sommernachtstraum ins Musikalische ohne das wörtliche Zitat der Vorlage. Die wichtigsten Dialogszenen ließ Purcell als Handlungsträger unberührt, alles Atmosphärische und Emotionale dagegen wurde Musik. Hinzu kommen allegorische Figuren, die die Spielarten von Anziehung und Abstoßung weiter variieren und den barocken Zauber erhöhen. – Purcells The Fairy Queen ist keinem Genre eindeutig zuzurechnen: Es ist Barocktheater in Reinkultur. Ein theatralisches Festspiel also, voll Poesie, Witz, Tanz, Gesang und Spektakel.

Die Komödie Ein Sommernachtstraum (engl. A Midsummer Night’s Dream, der korrekte deutsche Titel wäre also Ein Mittsommernachtstraum, auch um den Sinn nicht zu verfremden) wurde 1595 oder 1596 von William Shakespeare geschrieben und vor 1600 uraufgeführt.

Theseus rüstet zur Hochzeit mit der besiegten Amazonenkönigin Hippolyta. Auf einer Lichtung proben zu diesem Anlass sechs Handwerker „die tief tragische Komödie von Pyramus und Thisbe“. Unterdessen entfaltet sich im Wald die fantastische Zauberwelt der Natur- und Waldgeister. Eifersüchtiger Streit herrscht zwischen dem Elfenkönig Oberon und seiner Gattin Titania. Um Titania zu bestrafen, lässt sich Oberon von Puck eine Wunderblume bringen, mit deren Hilfe die Gattin sich beim Erwachen in die nächstbeste Kreatur verlieben wird…

Das Stück lieferte die Vorlage für verschiedene Opern, so The Fairy Queen (1692) von Henry Purcell, Le Songe d’une nuit d’été (1850) von Ambroise Thomas und A Midsummer Night’s Dream (1960) von Benjamin Britten. Sehr bekannt wurde auch die Schauspielmusik von Felix Mendelssohn Bartholdy. Auch moderne Autoren haben sich auf den Sommernachtstraum bezogen, so etwa Botho Strauß in Der Park (1983) und Neil Gaiman in The Sandman – Dream Country (1991).

Um zwei der wunderbarsten Bühnenwerke der Weltliteratur zu vereinen, greifen wir zurück auf eine Theaterpraxis, die zuletzt an den deutschen Theatern zwischen 1900 und 1914 immer Sonntags als „Matinée“ praktiziert wurde, zur „halbtheatralischen“ Umsetzung der „konzertant“ aufgeführten Oper The Fairy Queen und der „szenische Lesung“ des Schauspiels „Ein Sommernachtstraum“.

Diese Art der theatralischen Umsetzung bietet neben der kostengünstigsten Produktionsmöglicheit auch viel Unterhaltung für die Augen des Betrachters.

Die Schauspieler stellen alle wichtigen Figuren aus Shakespeares Komödie dar, und sich vor den Augen des Publikums, im wahrsten Sinne des Wortes, im „Stehgreif“ verwandeln.

Damit immer genug Übersicht im Chaos der Nacht und des Waldes vorhanden ist, im hin und her der Sprachen, die Oper wird in der Originalsprache, also Englisch gesungen, greifen wir auf die Figur des „Chorus“ bei Shakespeare zurück. In allen Aufführungen der damaligen Zeit gab der Chorus dem Publikum die entscheidenden Hinweise auf Ort und Zeit, die Konflikte in und zwischen den handelnden Personen; aber er regte vor allem die Phantasie des Publikums an, da in der Aufführungspraxis Bühnenbilder nicht vorhanden waren.

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L’Inconvenienze ed Inconvenienze Teatrale (Donizetti) http://fritzgross.de/2010/09/linconvenienze-ed-inconvenienze-teatrale-donizetti/ http://fritzgross.de/2010/09/linconvenienze-ed-inconvenienze-teatrale-donizetti/#comments Tue, 14 Sep 2010 15:30:05 +0000 http://fritzgross.de/?p=327 L’Inconvenienze ed Inconvenienze Teatrale

Gaetano Donizetti
VIVA LA MAMMA
oder Die Sitten und Unsitten des Theaters

Corilla, prima donna: Adelheid Fink
Procolo, di lei mariot: Jean-Louis Serre
Agata, madre di Luigia: Mark Beesley
Luigia, seconda donna: Andrea Creighton
Dorotea, primo musico: Christopher Josey
Guglielmo, tenore tedesco: Giuseppe Morino
Biscroma, maestro di musico: Nicolas Testé
Prospero, poeta e droghiere: Christian Davesnes
Impresario: Patrick Vilet
Ispettore del teatro: Jacques Laingui
coro d’uomini addetti al teatro: choeurs de l’opera de Nantes

Direction musicale: Tommaso Placidi
Mise en scène: Fritz Gross
Décors: Peter Schulz
Costumes: Astrid Kirsten
Chef de Chant de Clavecin: Sandrine Abello

Mark Beesley als Agata + Patrick Vilet als L'Impresario

1. Akt

Probebühne des Gastspielortes: Anwesend ist das engagierte singende Personal, auch der Komponist (gleichzeitig Regisseur) und der Librettist. Die Probe beginnt mit der Arie der Ersilia mit Männerchor. Die Primadonna ist höchst entzückt über die vielen Koloraturen und Triller, die der Komponist ihr in die geläufige Gurgel geschrieben hat. So ist der Text absolut nicht zu verstehen, weshalb sie ihn auch in der originalen Sprache (italienisch) singt. Die Arie des Ersten Tenors soll folgen. Doch der, russisch-italienischer Abkunft, ist nicht recht bei Stimme, und zudem hapert es mit seinen Sprachkenntnissen. Madame Sartinecchi, die Erste Sopranistin, wünscht plötzlich eine Änderung des Librettos: Romulus soll in Ketten erscheinen, weil sie sich bei ihrem nachfolgenden Rondo an diese hängen könne. Der Librettist lehnt ab, weil Romulus als Triumphator Einzug halte, und das gehe nicht in Ketten.

Mark Beesley als Agata + Jean-Louis Serre als Procolo + Adelheid Fink als Corilla

Der Impresario (Intendant, Dramaturg und Werbeleiter in Personalunion) erscheint mit dem Plakatentwurf, als plötzlich Tumult hinter der Bühne entsteht: Mamma Agata, die Mutter der zweiten Sopranistin Luigia, tritt auf. Sie ist empört: man habe ihr den Zutritt zur Bühne verwehren wollen, wo doch ihr eigen Fleisch und Blut singe. Sie nimmt sich sogleich den Komponisten vor, der das Rondo für ihre Tochter immer noch nicht fertig habe. Wenn sie kein Rondo bekäme, würde die ganze Stadt revoltieren. Und Mamma weiß auch, wie dieses Rondo auszusehen hat: erst viele Triller, dann sehr schnell mit vielen Synkopen. Der Komponist beruhigt sie. Bei der Begutachtung des Plakatentwurfs stellt Stefano, Ehemann der Primadonna, fest, daß der Titel des Werks geändert werden muß: Seine Frau habe immer an erster Stelle erwähnt zu werden; also: „Ersilia und Romulus“. Der Textdichter überzeugt ihn: Immer stehe der Mann an erster Stelle, z.B. bei „Orpheus und Eurydike“, „Romeo und Julia“, „Tristan und Isolde“ – vom Anbeginn der Schöpfung sei es so geregelt, siehe „Adam und Eva“. Der etwas komplizierte Name des Tenors ist verdruckt und muß korrigiert werden. Über die Applausordnung gerät man in Streit; die Mezzosopranistin verläßt das Theater. Mamma Agata macht abfällige Bemerkungen über die Herkunft der Primadonna: Noch vor nicht allzu langer Zeit habe sie Krapfen auf dem Marktplatz verkauft, die ihr Mann in ranzigem Öl gebacken habe. Stefano verteidigt in einer großen Arie die (musikalische) Ehre seiner Frau. Agata versucht, den Komponisten zu einem Duett für ihre Tochter und die Primadonna zu bewegen. Doch die Sartinecchi lehnt brüsk ab; mit einem Flittchen werde sie nie ein Duett singen und tut’s dann doch: beide beschimpfen einander in wüsten Tönen. Die Mezzosopranistin ist inzwischen abgereist; Stefano bietet sich als Ersatz an, aber auch Agata will einspringen. Der Tenor versucht sein Duett mit Agata und ist empört: Die Dame brülle wie ein Kalb, sei immer zu tief usw. Er geht. Stefano (Bariton) soll jetzt die Tenorpartie übernehmen.

Der Librettist kommt mit der Post: Eine Zeitung für Stefano, der zu entnehmen ist, daß die Stadt noch immer über die Subvention des Theaters berate und einen Brief für Luigia, aus dem sie und ihre Mutter erfahren, daß der Impresario stets finanziell abgebrannt sei.
Plötzlich fällt allen auf, daß sie noch keinen Vorschuß erhalten haben. Die Forderung: „Erst Vorschuß, dann geht die Probe weiter!“ kontert der Impresario mit dem Hinweis auf die vertraglich festgelegte Konventionalstrafe bei Vertragsbruch.

2. Akt

Der Impresario hat die Übriggebliebenen überredet weiterzumachen; erreicht hat der dies mit dem Appell an das Künstlertum der Sängerinnen und Sänger, das höher zu bewerten sei als die Gage. Die Generalprobe beginnt. Die Primadonna singt ihre Arie mit Chor. Agata tritt an den Impresario mit dem Vorschlag die Rolle der Mezzosopranistin zu übernehmen. Da ihr die Partie zu hoch liegt, transponiert das Orchester, und da ihre Stimme nicht ausgebildet ist, spielen die Streicher mit Dämpfer. Es folgt die zweite Arie der Ersten Sopranistin und schließlich die in der Opera seria übliche Apotheose, meist eine triumphale Verherrlichung des Auftraggebers. Procolo beherrscht seine Partie noch nicht und muß wiederholen. Man entscheidet sich, direkt zum Trauermarsch zu springen, zu dessen Klängen Ersilia dem Opfertod zugeführt werden soll. Der Schluß ist wie aus dem Lehrbuch der Opera seria (und damit typisch für ein Libretto von Pietro Metastasio): Rom

ulus soll Ersilia den Göttern opfern, obwohl (oder weil das die Tragik ins Unermeßliche überhöht: gerade weil) er sie liebt. Ehe er zusticht erscheint Luigia als Götterbote und sorgt für das glückliche Ende (lieto fine).

aus dem 2. Akt Generalprobe von „Ersilia und Romulus"

Der Primadonna ist der Schluß zu kurz: sie wünscht sich vom Komponisten als Verlängerung eine veritable Tempesta, was den Chor freut, denn bei einer solchen Sturmmusik ist er traditionell mit von der Partie. Der Impresario kommt mit einer Hiobsbotschaft. Der Stadtrat hat befunden, daß ohne die abgereisten Gesangsstars die am Gastspielort gewohnte hohe Qualität nicht mehr garantiert sei; ein Zuschuß kommt daher nicht in Frage. Die Truppe verlässt darauf die Probe, nicht ohne klarzustellen, dass sie als Künstler alles getan haben, um das undankbare Publikum zufrieden zu stellen. Alle fliehen aus dem Theater, der Impressario bleibt mit seinem pleite gegangenen Theater zurück.

Jean-Louis Serre als Procolo + Adelheid Fink als Corilla + Christopher Josea als Dorotea + Giuseppe Morino als Guglielmo + Patrick Vilet als L’Impresario  + Andrea Creighton als Luigia + Mark Beesley als Agata + Nicolas Testé als Biscroma

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Tosca (Puccini) http://fritzgross.de/2010/09/tosca-puccini/ http://fritzgross.de/2010/09/tosca-puccini/#comments Tue, 14 Sep 2010 15:16:22 +0000 http://fritzgross.de/?p=319 Tosca

Melodramma in 3 Akten von Giacomo Puccini.
Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Drama La Tosca von Victorien Sardou (1887).

PERSONEN:
Floria Tosca, eine berühmte Sängerin (Sopran) –
Mario Cavaradossi, Maler (Tenor) –
Baron Scarpia, Polizeichef (Bariton) –
Cesare Angelotti, ein entflohener politischer Gefangener (Bass) –
Der Mesner (Bass) –
Spoletta, Polizeiagent (Tenor) –
Sciarrone, ein Gendarm (Bass) –
Ein Schließer (Bass) –
Ein Hirt (Knabenstimme oder Alt) –
Ein Kardinal,
der Staatsprokurator,
der Henker Roberti,
ein Schreiber,
ein Offizier, e
in Sergeant (stumme Rollen) –
Soldaten, Sbirren, Damen und Herren, Bürger, Volk, Geistliche u.a.
ORT UND ZEIT: Rom, Mittwoch, 17.6.1800, und im Morgengrauen des folgenden Tages.
SPIELDAUER: ca. 2 Stunden (1. Akt: ca. 45 min.; 2. Akt: ca. 40 min.; 3. Akt: ca. 25 min.).

Nach 1798 kämpfte das frz. Revolutionsheer unter Napoleon gegen eine monarchistische Allianz aus England, Österreich und Russland. Die Franzosen haben Rom eingenommen und Cesare Angelotti zu einem der Konsule der »Römischen Republik« ernannt. Die bourbonisch-habsburgischen Herrscher Ferdinand IV. und seine Frau Maria Carolina, eine Schwester der hingerichteten Marie Antoinette, hatten aus Neapel fliehen müssen; von Sizilien aus organisieren sie den Widerstand. Ihre Truppen nehmen Rom ein, wo Baron Vitellio Scarpia und seine Geheimpolizei die Interessen der Monarchie durchsetzten, und stürzen die Republik. Angelotti wird eingekerkert. Im Juni 1800 kommt es in der Nähe des Dorfes Marengo zur entscheidenden Schlacht zwischen den frz. und österr. Truppen, in der Napoleon siegt. Das ist der historische Hintergrund des Operngeschehens.

Olafur Bjarnasson und Anna Shafajinskaia, Regensburg 2000

1. Akt.

Angelotti, der von Scarpia in der Engelsburg eingekerkerte Konsul der ehemaligen röm. Republik, konnte aus dem Gefängnis fliehen und sich in die Kirche Sant’Andrea della Valle retten. In der Familienkapelle seiner Schwester, der Marchesa Attavanti, sucht er die für ihn hinterlegte Fluchtkleidung; hier verbirgt er sich. Auf der Suche nach dem Maler Cavaradossi, der an einem Altargemälde mit dem Bild der nur von ihren Haaren bekleideten heiligen Büßerin Maria Magdalena arbeitet, nähert sich der Mesner dem Malgerüst. Er erkennt auf dem Gemälde das Porträt einer Dame, die in der letzten Zeit häufig zum Beten in die Kirche kam. Es ist die Marchesa Attavanti. Cavaradossi vergleicht das Bild mit dem Miniaturporträt seiner Geliebten, der Sängerin Floria Tosca, das er immer bei sich trägt (Recondita harmonia). Der brummige Mesner sieht in ihm einen Freigeist und »Feind unserer heiligen Regierung«, er bleibt nicht lange in so ketzerischer Gesellschaft. Deshalb kann sich Angelotti bald aus seinem Versteck hervorwagen und den Maler, der ihn wieder erkennt, um Hilfe bitten. Cavaradossi drückt ihm einen Esskorb in die Hand und drängt ihn in die Kapelle zurück, denn draußen klopft Tosca an die Tür, um sich mit ihm für den Abend in seiner Villa zu verabreden. Argwöhnisch, weil die sonst offene Kirchentür geschlossen war, unterstellt die zur Eifersucht neigende Sängerin dem Maler, er verstecke eine Frau in der Kirche. Auch erkennt sie die Ähnlichkeit des Magdalenenbildes mit der Gräfin Attavanti und ihren blauen Augen. Doch Cavaradossi kann seine Geliebte beruhigen, es gebe für ihn nur Tosca und ihre schwarzen Augen. Sie geht einigermaßen beschwichtigt. Cavaradossi bietet nun Angelotti ein Versteck im Garten seiner Villa an. Ein Kanonenschuss von der Engelsburg, dem Gefängnis Angelottis, zeigt an, dass seine Flucht entdeckt wurde. Aufgeregt kommt der Mesner zurück, zugleich enttäuscht, dem Maler nicht mehr seinen Triumph verkünden zu können: Napoleon ist geschlagen worden. Zur Feier des Sieges werde die berühmte Floria Tosca im Palazzo Farnese eine Kantate singen und in der Kirche ein Tedeum zelebriert werden, ruft er den von allen Seiten herbeilaufenden Geistlichen und Messdienern zu. Das allgemeine Jubelgeschrei erstirbt mit einem Schlag, weil Scarpia und seine Häscher in der Kirchentür erscheinen. Der Polizeichef hat Angelottis Spur aufgenommen; rasch wird ihm die Verbindung zwischen Angelotti und dem Maler des Porträts von Angelottis Schwester klar, zumal in der Kapelle der Attavanti Cavaradossis Esskorb leer gefunden wird. Tosca kehrt zurück, um Cavaradossi zu sagen, dass sie am Abend nicht kommen könne, weil sie beim Festakt im Palazzo Farnese auftreten müsse. Scarpia gibt sich verbindlich, reizt aber Toscas Eifersucht, indem er ihr einen in der Kirche gefundenen, ihr fremden Fächer zeigt. Vor Wut weinend verlässt sie die Kirche. Sie hofft, Cavaradossi in seiner Villa in flagranti zu überraschen. So wollte es Scarpia; höhnisch lächelnd schickt er ihr drei Geheimagenten nach. Die Kirche füllt sich, und zu den Klängen des Tedeums der Gläubigen stimmt Scarpia in wilder Gier sein eigenes Triumphlied an. Er werde Cavaradossi vernichten und Tosca dann zu seiner Beute machen.

Adam Kruzel Regensburg 2000

Adam Kruzel Regensburg 2000

2. Akt.

In seinem Zimmer im Palazzo Farnese sinnt Scarpia beim Abendessen über seinen Plan nach, Angelotti und Cavaradossi an den Galgen zu bringen (Tosca è un buon falco). Für Tosca schreibt er ein Billet, er erwarte sie nach der Kantate. Spoletta erstattet Bericht: Angelotti konnte nicht gefunden werden, aber Cavaradossi. Ihn lässt Scarpia vorführen und unterzieht ihn einem scharfen Verhör. Doch der Maler leugnet, Angelottis Versteck zu kennen. Während des Verhörs klingt die von Tosca und dem Chor intonierte Festkantate in den Raum. Nach dem Ende der Kantate erscheint Tosca. Scarpia lässt Cavaradossi in ein Folterkabinett nebenan bringen. Auf beiläufige Fragen in Scarpias galanter Konversation erwidert auch sie, den Aufenthaltsort Angelottis nicht zu kennen. Doch die immer drängenderen Fragen Scarpias und die Schmerzensschreie ihres Geliebten brechen ihren Widerstand. Sie verrät das Versteck, einen Brunnen in Cavaradossis Garten. Der halb bewusstlos Gefolterte wird in den Raum getragen; als Sciarrone bestürzt meldet, die Nachricht von der Niederlage der Franzosen bei Marengo sei eine Falschmeldung, Napoleon habe gesiegt, bricht Cavaradossi in ein hymnisches Freiheitslied aus und schleudert dem Henkersknecht Scarpia seine Verachtung ins Gesicht (Vittoria! Vittoria!). Das bedeutet sein Todesurteil. Scarpia lässt ihn abführen, hält aber Tosca zurück. Voll Verachtung fragt sie nach dem Preis für Cavaradossis Leben. Scarpia erklärt lachend, er sei zwar käuflich, aber nicht von einer Frau, und sucht ihr klarzumachen, welchen Preis er von ihr verlange (Già mi dicon venal). Toscas Flehen (Vissi d’arte) rührt ihn nicht, steigert nur seine Begierde. Als gemeldet wird, Angelotti habe sich bei seiner Festnahme das Leben genommen und alles sei bereit zu Cavaradossis Exekution, ist Tosca am Ende. Auf Scarpias »Also?« nickt sie stumm. Der Polizeichef befiehlt Spoletta, Cavaradossi nicht erhängen, sondern erschießen zu lassen und das nur zum Schein, »ganz genau wie beim Grafen Palmieri«. Spoletta versteht. Scarpia stellt Tosca einen Passierschein aus, damit sie Rom mit ihrem Geliebten verlassen kann. Als er aufsteht, um ihn ihr zu übergeben und mit ausgebreiteten Armen den vereinbarten Preis einzufordern, stößt sie ihm einen Dolch in die Brust. Aus seiner im Tod verkrampften Hand nimmt sie den Passierschein, stellt brennende Leuchterkerzen neben seine Leiche, legt ein Kruzifix auf seine Brust und eilt zu Cavaradossi in die Engelsburg.

Anna Shafajinskaia und Adam Kruzel, Regensburg 2000

Anna Shafajinskaia und Adam Kruzel, Regensburg 2000

3. Akt.

Auf der Plattform der Engelsburg. Im Morgengrauen hört man aus der Ferne den Gesang eines Hirtenjungen. Kirchenglocken läuten zum Frühgottesdienst. Cavaradossi wird dem Schließer übergeben. Er bittet ihn, um den Preis seines Rings einen Brief weiterzuleiten, und nimmt verzweifelt Abschied vom Leben (E lucevan le stelle). So überrascht ihn Tosca. Was sie ihm zu berichten hat, überwältigt ihn, tief gerührt ergreift er ihre Hand. Und beide begrüßen glücklich den heraufziehenden Tag ihrer Freiheit (O dolci mani mansuete e pure). Das Erschießungskommando tritt an. Cavaradossi wird sich tot stellen, bis nach den Schüssen mit entschärften Patronen die Soldaten abgezogen sind. Die Gewehrsalve kracht. Tosca sieht ihren Geliebten wie auf der Bühne zusammensinken. Sie läuft zu ihm, er könne sich jetzt erheben – ein entsetzlicher Irrtum, er ist wirklich tot, Opfer eines teuflischen Betrugs. Inzwischen ist Scarpias Ermordung entdeckt worden. Spoletta stürmt mit seinen Leuten herauf, um Tosca zu verhaften. Tosca stürzt sich über die Brüstungsmauer in den Tod.

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Die Fledermaus (Johann Strauss) http://fritzgross.de/2010/09/die-fledermaus-johann-strauss/ http://fritzgross.de/2010/09/die-fledermaus-johann-strauss/#comments Tue, 14 Sep 2010 15:14:51 +0000 http://fritzgross.de/?p=312 Die Fledermaus

Operette in 3 Akten von Johann Strauss.
Text von Carl Haffner und Richard Genée nach dem Vaudeville Le réveillon von Henri Meilhac und Ludovic Halévy (1872), das auf die Komödie Das Gefängnis von Roderich Benedix (Berlin 1851) zurückgeht.

PERSONEN:
Gabriel von Eisentein, Rentier (Tenor)
Rosalinde, seine Frau (Sopran)
Frank, Gefängnisdirektor (Bariton)
Prinz Orlowskij (Mezzosopran)
Alfred, Gesangslehrer (Tenor)
Dr. Falke, Notar (Bariton)
Dr. Blind, Advokat (Bass)
Adele, Kammermädchen Rosalindes (Sopran)
Ida, ihre Schwester (Sopran)
Frosch, Gerichtsdiener (Sprechrolle)
Gäste des Prinzen, Herren und Damen, Masken, Bedienstete.
ORT UND ZEIT: Ein Badeort in der Nähe einer großen Stadt, letztes Drittel des 19. Jh.s.
SPIELDAUER: ca 1 3/4 Stunden.

Isabel Jung und Jeff Lloyd-Roberts

1. Akt.

Zimmer im Hause Eisensteins. Vom Garten her hört man ein Liebeslied klingen. Rosalinde erkennt den verführerischen Tenor ihres einstigen Gesangslehrers und Verehrers Alfred. Ihr Zofe Adele bittet um Ausgang, um eine kranke Tante besuchen zu können – in Wirklichkeit will sie an einem Fest des Prinzen Orlowskij teilnehmen, zu dem sie von ihrer Schwester Ida brieflich eingeladen wurde. Rosalinde schlägt ihr aber die Bitte ab, denn sie will nicht allein bleiben; muss doch ihr Gatte heute eine Arreststrafe wegen Beleidigung einer Amtsperson antreten. Auch fürchtet sie für ihre Tugend, seit sie Alfred in der Nähe weiß. Da erscheint dieser schon selbst und nötigt ihr das Versprechen ab, ihn zu empfangen, sobald ihr Mann »brummt«. Wenige Minuten später kommt Eisenstein nach Hause, in zornigem Gespräch mit seinem Advokaten Blind, durch dessen Ungeschick die Strafe noch erhöht worden ist. Besser als Rosalinde gelingt es jetzt Eisensteins Freund Dr. Falke, den Verärgerten wieder aufzuheitern: er schlägt ihm heimlich vor, sich heute Nacht noch mit ihm bei Orlowskij zu amüsieren und seine Strafe erst morgen früh anzutreten. Vergnügt erinnert sich Eisenstein eines anderen Ballfestes, bei dem er dem als Fledermaus maskierten Falke einen Streich gespielt hat, den dieser freilich nicht vergessen hat . . . Mit Verwunderung sieht Rosalinde, wie sich ihr plötzlich heiter gestimmter Mann nun in Frack und Zylinder zu seinem Gang ins Gefängnis aufmacht. Mit heuchlerischer Rührung nehmen die Gatten voneinander Abschied. Adele hat inzwischen aus begreiflichen Gründen doch frei bekommen. Rosalinde empfängt nun den verliebten Alfred, der er sich sogleich in Eisensteins Schlafrock gemütlich macht und ihre Bedenken mit Wein und Gesang zerstreut. Mit der frohen Laune aber ist es vorbei, als plötzlich Gefängnisdirektor Frank erscheint, um Eisenstein persönlich abzuholen. Um Rosalindes Ehre zu retten, muss Alfred nun, ganz anders als er sich es gedacht hat, die Rolle ihres Gatten übernehmen und mit Frank ins Gefängnis abziehen.

Jeff Lloyd-Roberts Georg Paucker Eva Maria Kirchner

2. Akt.

Gartensalon beim Prinzen Orlowskij. Dr. Falke verspricht dem blutjungen, aber schon recht blasierten Prinzen, dass er ihm heute noch viel Gelegenheit zum Lachen geben werde: »Rache einer Fledermaus« heiße das lustige Spiel, das er vorbereitet habe. Der »Held« dieses Scherzes ist Eisenstein, der hier als Marquis Renard auftritt. Die zweite Hauptfigur ist Adele, die in einer Robe ihrer Gnädigen erscheint; sie ahnt nicht, dass sie Dr. Falke, nicht ihre Schwester Ida, herbestellt hat. Nun wird sie dem Prinzen als junge Künstlerin vorgestellt, und mit kecker Überlegenheit weist sie Eisensteins begründete Vermutung, sie sei ein Stubenmädchen, zurück. Als dritte Person in Falkes Rachespiel tritt Frank unter dem Namen Chevalier Chargrin in die Gesellschaft ein und freundet sich rasch mit dem vermeintlichen Marquis Renard an. Dr. Falke hat inzwischen Rosalinde wissen lassen, wo sich ihr angeblich im Gefängnis schmachtender Gatte in Wirklichkeit aufhält; daraufhin kommt sie ebenfalls zum Ball mit einer Maske vor den Augen und erregt bald die Aufmerksamkeit des abenteuerlustigen Eisenstein. In schlauer Weise versteht sie es, seine Taschenuhr, deren hübsches Läutwerk ihr Interesse zu wecken scheint, als Corpus Delicti an sich zu bringen. Vor der Gesellschaft, die ungern ihre Maske respektiert, weist sie sich durch den Vortrag eines Csárdás als »ungarische Gräfin« aus. Als das allgemeine Gespräch auf das Thema Fledermaus kommt, erzählt Eisenstein, wie er damals den betrunkenen Dr. Falke in seinem Fledermauskostüm am Aschermittwochmorgen in einem Gehölz abgesetzt habe, so dass er unterm Gespött der Gassenjungen maskiert den Heimweg habe antreten müssen und seitdem überall als Dr. Fledermaus gehänselt worden sei. Über die Rache, die ihm Falke dafür androht, lacht er nur, nicht ahnend, dass er schon ihr Opfer ist. In seliger Champagnerstimmung verfliegen die Stunden des Festes, bis der Glockenschlag um 6 Uhr Frank und Eisenstein zu eiligem Aufbruch mahnt.

Chor der Schlossfestspiele mit den Solisten: Thomas Mayer, Hans Josef Overmann, Oliver May, Eva Maria Kirchner

3. Akt.

Kanzlei des Gefängnisdirektors. Schwer bezecht landet Frank in seinem Amt, wo ihn der slibowitzfrohe Gerichtsdiener Frosch empfängt. Er möchte gerne ein wenig ausruhen, aber schon melden sich Besuche: zuerst Adele, die ihm gesteht, wer sie wirklich ist, ihn bittet, sie für die Bühne ausbilden zu lasen, und sogleich Proben ihres Talents ablegt; dann Eisenstein, der zu seinem Staunen erfahren muss, dass der vermeintliche Chevalier Chagrin hier Gefängnisdirektor ist. Er möchte nun seinerseits beweisen, dass er nicht Marquis Renard, sondern Eisenstein sei, muss aber erfahren, dass Frank selbst Herrn von Eisenstein gestern hierhergebracht hat. Ein furchtbarer Verdacht regt sich in ihm. Um sich Gewissheit zu verschaffen, hüllt er sich in die Robe des inzwischen von Alfred herbestellten Advokaten Blind und beginnt seine gleichfalls hier eingetroffene Frau und Alfred zu verhören. In seiner Wut verrät er sich freilich bald, wird jedoch rasch kleinlaut, als ihm Rosalinde die Uhr vorweist, die sie ihm bei Orlowskij weggenommen hat. Er hat ihr also nichts vorzuwerfen. Immerhin möchte er gern, dass Alfred weiterhin an seiner Stelle die Arreststrafe absitzen soll, doch das geht natürlich nicht. Als sich schließlich die ganze Abendgesellschaft mit Orlowskij und Dr. Falke einfindet, lernt er endlich begreifen, dass er der »Rache der Fledermaus« zum Opfer fiel. Der Prinz, der sich köstlich amüsiert hat, verspricht Adele, sich als Kunstmäzen ihrer anzunehmen.

Ensemble Zwingenberg 2000

Ensemble Zwingenberg 2000

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Joseph Suess (Glanert) http://fritzgross.de/2010/09/joseph-suess-glanert/ http://fritzgross.de/2010/09/joseph-suess-glanert/#comments Tue, 14 Sep 2010 15:01:09 +0000 http://fritzgross.de/?p=307 Joseph Suess

Süß-Oppenheimer, Joseph, eigtl. Joseph Süß Oppenheimer, gen. Jud Süß, * Heidelberg 1692 oder 1698 (1699?), + Stuttgart 4. 2. 1738, jüd. Finanzmann. Geheimer Finanzrat (1736) Hzg. Karl Alexanders von Württemberg; nach dessen Tod (1737) wegen Verfassungsbruchs und persönl. Bereicherung im Amt hingerichtet.
1827,
Hauff: „Phantasien im Bremer Ratskeller“, „Jud Süß“
1925,
Lion Feuchtwanger (* 1884, + 1954): „Jud Süß“ (Roman, 1917 als Drama)

Adam Kruzel, Ursula Hennig, Florian Lange, Stefan Sevenich, Opernchor Regensburg

Adam Kruzel, Ursula Hennig, Florian Lange, Stefan Sevenich, Opernchor Regensburg

An den Galgen
Das Armsünderglöckchen läutet morgens um acht Uhr auf dem Herrenhaus den Todestag ein: Dienstag, 4. Februar 1738. Ganz Stuttgart befindet sich auf den Beinen, ein großer Tag, für viele der aufregendste ihres Lebens. Am Abend vorher wird mit Beginn der Dämmerung und nach Trommelschlag in den Straßen ausgerufen, wie man sich am nächsten Tag zu verhalten habe. Kein Haus dürfe leer- und offenstehen, in jedem müsse eine Person zurückbleiben, die nach Feuer und Licht zu schauen und auf Einbrecher und Diebe zu achten habe. Alle Kaufläden seien geschlossen zu halten, auf dem Marktplatz keine Stände erlaubt. Die Gastwirte sollen alle Fremden anzeigen, die bei ihnen übernachten. «Verdächtiges oder liederliches Gesindel» dürfe nicht aufgenommen werden. An jedem Stadttor werde ein Schreiber die Namen der Hereinkommenden notieren. Alle fremden Juden seien aus der Stadt auszuweisen, die Stuttgarter Juden dürfen ihre Wohnungen nicht verlassen. Das Hofpersonal muß den ganzen Tag im Schloss bleiben. In den Gassen patrouillieren Tag und Nacht vermehrt Bürgerwachen, zusammen 100 Mann.
Eine Stadt im Ausnahmezustand. 1200 Milizsoldaten halten den Marktplatz besetzt, weitere 600 haben schon frühmorgens draußen vor der Stadt einen Kreis um die Hinrichtungsstätte gezogen, noch einmal 600 liegen als Reserve in den Kasernen. 18 Stadtreiter haben während der Exekution auf der Galgensteige zu patrouillieren, um Unruhe zu verhindern. Das Militär ist bürgerlich: Miliz und Stuttgarter Stadtreiter. Das Misstrauen gegen das herzogliche Militär gehört zur konservativen Revolte.
In der allgemeinen Aufgeregtheit können keine Hochzeiten abgehalten werden. Deshalb hat die evangelische Kirchenbehörde den Brautpaaren erlaubt, die beliebten Dienstagshochzeiten ausnahmsweise auf Montag vorzuverlegen. Am Montag durfte sonst nicht geheiratet werden, die Hochzeitsvorbereitungen hätten die Sonntagsheiligung verletzt. Das Kriminalgericht trifft sich morgens zwischen 7 und 8 Uhr in der Wohnung des Vorsitzenden, des Oberhofrichters von Gaisburg. Alle Richter tragen Schwarz, nur das Opfer Scharlachrot. In drei Kutschen fahren sie vor das Herrenhaus. Begleitet von Stuttgarter Patriziern, betreten sie den großen Saal im ersten Stock. Hier stehen drei Tische in Hufeisenform, mit roten Decken überzogen. Das Gericht nimmt an der Stirnseite Platz, an einem größeren Tisch, der an der Fensterfront zur Münze hinüber steht und mit Schranken umgeben ist. Heute bleiben die Türen des Gerichtssaales offen, das erste und einzige Mal in diesem Geheimprozeß. Das Todesurteil muß nach der «Peinlichen Halsgerichtsordnung» bei offenen Türen verkündet werden, auch wenn die auf dem Marktplatz wartende Menge davon nichts hören kann.
Ein vierzigköpfiges Milizkommando führt gegen 9 Uhr den Verurteilten ohne Fesseln in den großen Saal hinauf. Süß hat sich rechtzeitig, solange er noch keine Fesseln trägt, die Zehn Gebote an die Stirn gebunden. Die ganze Nacht hat er so gut wie nicht geschlafen, dennoch ist er überwach. Die Urteilsverkündigung stellte der Augsburger Elias Baeck in einem Stich dar, vermutlich teilweise nach der Natur gezeichnet, wie einige seiner Blätter über Süß‘ Ende. Auch er bezeugt keine Öffentlichkeit. Neben 13 Richtern beherrschen 15 Wachsoldaten den Saal. Hinter Süß stehen der Scharf- richter, die Henkersknechte und wenige Privatleute.
Süß ist bereit, noch einmal um sein Leben zu kämpfen. Gleich nach dem Betreten des Saales fällt er auf die Knie und bittet um Gnade. Der Gerichts- präsident läßt ihn nicht zu Wort kommen, befiehlt ihm Schweigen und fasst das Kriminalverfahren zusammen. Beim Stichwort «Landesverderber» protestiert Süß laut. Der Scharfrichter Jacob Christoph Neher will ihm den Mund zuhalten. Süß gibt ihm eine Ohrfeige und schreit: «Lass mich gehen, ich wehre mich meines Lebens.» Während Süß ständig dazwischenruft, verliest der Sekretär Gabler das Todesurteil: «Gleichwie Serenissismus sich in Dero Gewissen verbunden erachten, der von Gott Ihnen anvertrauten Justiz ein Genüge zu tun und sowohl vor den Augen der Auswärtigen als dieses ganzen Herzogtums und Landes darzulegen, mit welch gerechtem Eifer höchst Dieselbe die an Herren und Leuten verübte verdammliche Misshandlungen an des Juden Joseph Süß Oppenheimers Person abzustrafen, als ist höchst Deroselben ernstlich und unabänderlicher Will und Meinung, daß peinlich beklagter Inquisit [Angeklagter] Jud Joseph Süß Oppenheimer ihm zur wohlverdienten Straf, jedermänniglich aber zum abscheulichen Exemplar an den obern eisernen Galgen mit dem Strang vom Leben zum Tod gebracht werden soll. Decretum [beschlossen] Stuttgart, den 25. Januarii 1738. Carl Rudolph.»

Adam Kruzel und Katrin Mann, Regensburg 2000

Das Urteil nennt keine Straftaten und verweigert eine Begründung. Die «verdammlichen Misshandlungen» bleiben so allgemein, wie sie im ganzen Prozeß verhandelt wurden. Die Justiz steht so wenig über dem Verfahren, daß sie bei aller Verschlungenheit der Sätze eigenartig stumm bleibt. Merkwürdig sieht die Rücksicht auf die «Augen der Auswärtigen» aus. Ein nebulöser Versuch, die Verantwortung aus Württemberg hinauszuverlagern. Ganz und gar unglaubwürdig, weil dem Verurteilten nie irgendeine Tat außerhalb Württembergs vorgeworfen wurde, auch von anderen Staaten nicht. Das Urteil läuft auf eine faustdicke Lüge hinaus. Wenn man es abklopft, klingt alles hohl, eine schwache Leistung nach einem elf Monate dauernden Verfahren, das weit über 100 Aktenbände mit Verhören, Protokollen und Dokumenten produzierte.
Der Vorsitzende zerbricht ein dünnes, weißes Stäbchen in drei Teile und wirft sie dem Verurteilten vor die Füße. Mit dieser Symbolhandlung ist das Todesurteil rechtskräftig. Süß erklärt sich für unschuldig, ruft nach Rache gegen seine Richter und verflucht sie. Der Scharfrichter, direkt hinter Süß stehend, wird gefragt, ob er das Urteil verstanden habe. Er bejaht, bekommt den Befehl zum Vollzug und fesselt Süß kreuzweise. Miliz führt den Gefangenen in die Todeszelle zurück, zur Henkersmahlzeit. Der Vogteiknecht und seine Frau haben das letzte Essen bereitgestellt, durch ein Gelübde sind sie verpflichtet, dem Juden nichts «Schädliches zu reichen». Ein letztes Mal wird auf koschere Speisen geachtet. Süß rührt nichts an, er trinkt auch nichts. Die Geistlichen Heller und Hoffmann versuchen ein weiteres Mal, Süß dem Judentum abspenstig zu machen, inzwischen der siebte Bekehrungsversuch. Süß schreit ihnen ununterbrochen entgegen: «Schma Jisrael, Adonai Elohenu, Adonai Echad.» Das Kriminalgericht fährt inzwischen zur Richtstätte voraus und setzt sich auf eine eigene Tribüne, um während der Exekution für Entscheidungen bei der Hand zu sein. Für die Honoratioren stehen drei weitere Tribünen daneben, von 32 Zimmerleuten in zweieinhalb Tagen aufgebaut. Gegen 9.30 Uhr wird Süß aus dem Herrenhaus auf den Marktplatz hinuntergeführt und dem Stadtvogt Groß übergeben. Er sträubt sich, der Scharfrichter zerrt ihn auf den Todeskarren, einen einachsigen Wagen mit einem alten Klepper, zwingt ihn auf einen erhöhten Holzsitz aus ungehobelten Brettern und bindet ihm die hinter dem Rücken gefesselten Hände an einem Fuß und am Wagen fest. Ein Henkersjunge setzt sich auf das Pferd.
Der Zug nimmt den Weg zurück, den Süß vom Hohenasperg herunter nach Stuttgart gekommen ist: Schulgasse, Großer Graben, Siechentor. 120 Grenadiere eines einquartierten württembergischen Kreisinfanterieregiments begleiten den Karren mit aufgesteckten Bajonetten, bereit zum Nahkampf gegen einen imaginären Feind. Den Weg säumen Hunderte von Stadtreitern. Süß betet unablässig und laut sein Glaubensbekenntnis. Neben dem Karren gehen zwei Henkersknechte, mit Weinkrug und Becher in der Hand. Nach dem Passieren des Siechentors fragen sie Süß beim Siechenhaus, ob er trinken wolle. Der Todgeweihte beweist seine Überlegenheit gegenüber dieser Verspottung, die wie eine Parodie auf den Gang Jesu nach Golgatha aussieht, indem er antwortet: «Ihr spottet meiner nur. Fahret fort!»
Über die Wiesen zum Galgenberg hinauf kommt der Zug an Süß‘ Verteidiger vorbei, der sich aus Feigheit vor den Blicken des Opfers hinter einem Zaun versteckt hält. Wenigstens stimmt die Kasse: Mögling hat für seine Verteidigungsschrift samt Spesen 1000 Gulden eingestrichen. Damit kann man in Stuttgart fast ein Haus kaufen. Der Henker dagegen erhält für das Aufhängen nur 30 Kreuzer. Die Blutarbeit wird kümmerlich bezahlt.
Gegen 10.15 Uhr erreicht der Zug den Galgenberg. Endlich herrscht wieder schönes Wetter, nach einigen Tagen Regen kommt wieder die Sonne durch. Der Wagen hält an, der Gefesselte wird in den Kreis geführt, der von der Miliz gebildet wird. Der zehn Meter hohe Galgen ist schon am Freitag aufgebaut worden, auf einem schweren Fundament aus Quadersteinen, der Sockel zweieinhalb Meter breit und eineinhalb Meter hoch. Die Fugen hat man mit Eisen ausgegossen und den ganzen Unterbau leuchtendrot angestrichen. Das Ganze wiegt 25 Zentner. Die Leiter weist 49 Sprossen auf, so sagt die Rechnung der Zimmerleute: eine Doppelleiter mit drei Holmen und vier Stützen. Dahinter steht eine einfache Leiter. Der eigentliche Galgen, aus Eisen geschmiedet, ragt über den hölzernen Hauptgalgen um zwei Meter hinaus. Süß wird zwölf Meter über dem Erdboden hängen, am höchsten Galgen des Deutschen Reiches. Am obersten Galgen ist ein eiserner Käfig von dreieinhalb Zentnern Gewicht festgemacht, hergestellt von der Stuttgarter Schlosserzunft. 12 Schlossermeister und 20 Gesellen haben zwischen einem und vier Tagen daran gearbeitet, die meisten zweieinhalb. Beim Zusammenfügen in der Werkstatt und beim Anbringen am Galgen haben 23 Meister, 25 Gesellen und fünf Lehrjungen mitgewirkt, anderthalb Tage lang. Weil alle bei dieser verfluchten Arbeit mit Hand anlegen müssen, kann nachher niemand für unehrlich erklärt und aus der Zunft ausgestoßen werden, wie man es nach der Zunftmoral tun müsste. Der Käfig ist in einem weithin leuchtenden Rot angestrichen.
Im Kreis der Miliz* befinden sich bereits der Stadtvogt Groß, der die Hinrichtung zu leiten hat, und als Zeugen des Todes die Stuttgarter Bürgermeister Johann Daniel Hoffmann und Ernst Friedrich Schweizer, umgeben von 18 Stadtreitern. Ebenfalls im Kreis stehen die Geistlichen Heller und Hoffmann, um Süß zum Christentum herüberzuziehen. Der achte Versuch. Sie beten ihm laut das Vaterunser vor. Süß hält sich die Ohren zu und brüllt ihnen das «Schma Jisrael, Adonai Elohenu, Adonai Echad» ins Gesicht. Auf der Tribüne des Kriminalgerichts wartet ein katholischer Geistlicher, falls Süß sich dieser Konfession anschließen möchte. In einem nahen Weinberghäuschen stehen die katholischen Kultusgegenstände bereit. Ein Rabbiner wird bis zum Schluß verweigert. Der Stadtvogt, der es am besten sehen und hören kann, bezeugt in seinem Exekutionsbericht: Süß habe «bis in sein ohnglückliches Ende hebräisch geredet und die 10 Gebot, woran er sich doch in seinem Leben wenig gekehret, mit einem schwarzen Schnupptuch an die Stirn geknüpfet». Die Hinrichtung gaben nach eigener Anschauung die Augsburger Künstler Elias Baeck, Lucas Conrad Pfandzelt und Jakob Gottfried Thelot in Kupferstichen wieder. Süß macht keine Bewegung freiwillig, zu allem muß er gezwungen werden. Bis zum Schluß gibt er seinen Willen nicht auf, wirft sein Leben nicht weg. Es ist 10.30 Uhr, als ihm unten an der Leiter die Schuhe ausgezogen, das Halstuch abge- nommen und der Strick um den Hals gelegt werden. Vier Henkers- knechte ziehen und schieben ihn die Leiter hinauf, dem Käfig entgegen: ein ständiger Kampf der vier kräftigen Männer gegen die skelettähnliche Gestalt.
Als das Menschenknäuel die Mitte der Leiter erreicht hat, flattern Süß‘ Hut und Perücke zu Boden. Während des ganzen Ringens ruft Süß sein «Schma Jisrael» hinaus. Schon beim ersten Mal läßt der kommandierende Major die Trommeln rühren. Der über Süß‘ Hartnäckigkeit zornige Vikar Hoffmann schreit hinauf: «Du verstockter Jud, weil du denn nicht anders willst, so fahre hin. Jesus, den du verleugnet hast, wird nun bald dein Richter sein.» Kurz bevor Süß erdrosselt wird, krönt der Vikar seinen Eifer: «Du wirst in wenigen Augenblicken sehen, in welchen du gestochen hast. Jesus lebt!» Der letzte Satz stellt noch heute den Schlachtruf des Pietismus dar.
Als die Henkersknechte mit Süß oben beim Käfig angekommen sind, zieht Georg Franck, ein 20 Jahre alter Sohn des Straßburger Scharfrichters, von hinten den Strick um den Hals zu. Süß wird nicht gehenkt, er wird erwürgt, von einem französischen Henker. Die Württemberger sind zu feige, einen der Ihren damit zu beauftragen. Die Henkersknechte heben die spindeldürre Leiche in den Käfig. Nachdem Süß eine Viertelstunde lang kein Lebens- zeichen von sich gegeben hat, wird der Strick abgenommen und durch eine Kette um den Hals ersetzt. Man klappt die bewegliche gekrümmte Vorder- seite des Käfigs zu und verschließt sie durch drei große Schlösser und eine dicke Kette. Die Exekution ist zu Ende. Um 12 Uhr kehrt das Gericht in die Stadt zurück, zum Mittagessen.
Die Zuschauer verhalten sich die ganze Zeit über ruhig: keine Hassausbrüche, keine Schmährufe, keine Schadenfreude. Das vom Tod gezeichnete Aussehen, der verzweifelte Kampf um das Leben, das ständige laute Beten in einer unverständlichen Sprache, die massive Militärgewalt – das alles läßt Entsetzen, Furcht und Todesahnung spüren. Aber nicht Mitgefühl rät zum Schweigen, sondern Neugier, ob der Sterbende Todeslaute von sich gibt.
Zwölftausend sehen Süß enden, es können auch mehr gewesen sein. Stuttgart hat damals knapp 20000 Einwohner. Es sind viele Auswärtige gekommen. Auffallend, daß über diese Hinrichtung keine Memoiren berichten, keine Briefe, keine seriösen Publikationen. Stuttgart besitzt noch keine literarische Kultur. Bald wälzt sich dumpfer Haß durch die Druckereien und läßt in einer Masse von Flugschriften, Flugblättern und Liedern Verleumdungen über dem Hingerichteten zusammenschlagen. Alle Autoren müssen anonym auftreten, Hetzschriften dieser Art sind, wenn sie jemand aus dem Herrscherhaus oder der Regierung beleidigen, verboten. Als ein Lied mit 82 Strophen, verfasst von dem Stuttgarter Hauslehrer Johann Georg Edler, die Herzoginwitwe mit Süß‘ Tod in Verbindung bringt, wird es beschlagnahmt und vom Scharfrichter auf dem Pranger verbrannt. Der Autor flüchtet für neun Monate aus dem Land und kommt am Ende glimpflich davon. Dem Diakon Heller verbietet die Regierung, seine Bekehrungsgespräche mit Süß zu publizieren. Durch Schweigen soll Süß‘ Hinrichtung aus der Erinnerung gelöscht werden. Am Hinrichtungstag bleibt eine Wache unter dem Galgen zurück, die Nacht hindurch patrouillieren acht Soldaten. Man befürchtet, auswärtige Juden könnten ihren Glaubenszeugen aus dem Käfig holen und auf einem jüdischen Friedhof beerdigen. In Wirklichkeit sind die Juden gelähmt, in Erwartung einer blutigen Verfolgung.
Die Furcht vor Süß und das schlechte Gewissen lassen Gespenster entstehen. Zuerst sieht man unter dem Galgen einen Mann, der bei der Annäherung eines Beobachters in die Weinberge flieht. Später laufen Anzeigen ein: Nachts seien Verdächtige unter dem Galgen gesehen worden, die Gewalt an den Käfig legten, ein Loch hineinbrachen und die Abnahme der Leiche versuchten. Von da an patrouilliert eine Bürgerwache unter dem Kadaver. Der Scharfrichter muß zur Leiche hinaufsteigen und schauen, ob oben noch der Richtige hängt. Er bestätigt es, entdeckt kein Loch, keinerlei Gewaltanwendung am Käfig, keine Spuren einer Feile. Der heftige Februarwind hatte die Kleider des Toten zerrissen, daher die Aufregung.
In seinem Schlussbericht über die Hinrichtung ist der Stadtvogt stolz darauf, daß alles so schön geklappt hat. Nach «dieser wichtigen Exekution [haben] die höchstbeleidigte Justiz und viele tausend arme gedrückte württem- bergische getreue Untertanen sehnlich geseufzt, […] auch außer denen Landesinwohnern [habe] ein ziemlicher Teil von Europa geraume Zeit her sich aufmerksam bezeugt und die Nachwelt [wird] mehrers admirieren [bewundern]». Die Württemberger glauben kurze Zeit, im europäischen Licht zu stehen, wie Helden. Dem Toten, seit langem enteignet, stellt man noch die Hinrichtungskosten in Rechnung: 539 Gulden, 34 Kreuzer, 3 Heller. Renz, Sekretär des Kirchenrats, der als Beisitzer am Todesurteil mitgewirkt hat, vereinigt die Quittungen in einem eigenen Aktenband. Nach der Exekution wird der Tod pedantisch verwaltet. So genau hatte man es früher selten genommen.
Sechs Jahre lang bleibt die Leiche im Käfig hängen, zur Einschüchterung aller Juden. 1744 läßt der junge Herzog Carl Eugen, soeben auf den Thron gekommen, das Gerippe am Fuße des Galgens verscharren. Das geheime Grab lag in der Wolframshalde; die Stelle wäre heute bei den drei Hochhäusern in der Mönchstraße zu suchen. An zwei von Süß‘ Richtern erinnern Grabplatten in der westlichen Vorhalle der Tübinger Stiftskirche: an Pflug und Dann.
Schon drei Monate vor der Hinrichtung hat der Tübinger Buchhändler Christoph Heinrich Berger eine Marktchance gewittert. Neun Tage nach der Hinrichtung wiederholt er seine Bitte an die Regierung, den Prozeß gegen Süß ganz oder in Auszügen publizieren zu dürfen. Er habe bisher aus Rücksicht Abstand davon genommen, «jetzo aber mehr als jemals das Publikum wünscht, eine authentique Nachricht von diesen weltbekannten Delictis zu haben, um dadurch die bishero ausgesprengte viele falschen Gerüchte von den wahren zu unterscheiden». Der Händler nimmt an, Regierung und Justiz hätten ein Interesse daran, die Wahrheit bekannt- zumachen. Der Geheime Rat beschließt jedoch, die Sache auf sich beruhen zu lassen. An den mageren Kenntnissen über den Hochverratsprozeß hat sich über zweihundert Jahre lang nichts geändert.

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Fidelio (L. v. Beethoven) http://fritzgross.de/2010/09/276/ http://fritzgross.de/2010/09/276/#comments Tue, 14 Sep 2010 14:15:55 +0000 http://fritzgross.de/?p=276 Fidelio

Oper in 2 Akten von Ludwig van Beethoven. Text von Joseph Ferdinand von Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke nach Jean-Nicolas Bouillys Léonore ou L’amour conjugal. Uraufführung der 1. Fassung in 3 Akten als Fidelio oder Die eheliche Treue: 20.11.1805 Wien, Theater an der Wien. Uraufführung der 2. Fassung in 2 Akten als Leonore oder Der Triumph der ehelichen Liebe: 29.3.1806 ebd. Uraufführung der 3. Fassung als Fidelio: 23.5.1814 Wien, Kärntnertortheater.

PERSONEN:
Don Fernando, Minister (Bariton) –
Don Pizarro, Gouverneur eines Staatsgefängnisses (Bariton) –
Florestan, ein Gefangener (Tenor) –
Leonore, seine Gemahlin, unter dem Namen Fidelio (Sopran) –
Rocco, Kerkermeister (Baß) –
Marzelline, seine Tochter (Sopran) –
Jaquino, Pförtner (Tenor) –
1. Gefangener (Tenor) –
2. 2. Gefangener (Baß) –
3. Wachsoldaten, Gefangene, Volk.

ORT UND ZEIT: Ein Spanisches Staatsgefängnis bei Sevilla, 18. Jahrhundert.

SPIELDAUER: ca. 2 Stunden (1. Akt: ca. 70 min.; 2. Akt: ca. 50 min.).

1. Akt

Jaquino drängt Marzelline, ihn endlich zu heiraten (Duett Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein), doch sie hat sich gerade in den neuen Gehilfen ihres Vaters, Fidelio, verliebt und träumt von einem künftigen Glück mit ihm (Arie O wär ich schon mit dir vereint). Hinter Fidelio verbirgt sich Leonore, die Frau des Staatsbeamten Florestan, der plötzlich verschwunden ist und von seinen Freunden für tot gehalten wird. Leonore ist überzeugt, daß ihr Mann hier gefangengehalten wird, als politischer Gegner und Opfer Don Pizarros, dessen Verbrechen er aufdeckte. Deshalb ließ sie sich, als Mann verkleidet, einstellen. Rocco ist erfreut über den Diensteifer Fidelios, er sieht in ihm bereits den künftigen Schwiegersohn. Fidelio aber erkennt mit Bestürzung Marzellines Zuneigung zu ihr und Jaquinos Eifersucht (Quartett Mir ist so wunderbar?). Rocco gibt Marzelline und Fidelio bereits Ratschläge: für ihr künftiges Eheglück sei nicht nur Liebe notwendig (Arie Hat man nicht auch Gold beineben). Fidelio nutzt Roccos Vertrauen zu der Bitte, ihn in die unterirdischen Gewölbe des Gefängnisses begleiten zu dürfen. Der Kerkermeister willigt ein, fügt aber hinzu, daß es eine Zelle gebe, die Fidelio wohl nie betreten dürfe. Roccos Andeutungen lassen Leonore erahnen, daß es ihr Mann sein könnte, der dort als persönlicher Gefangener Pizarros Tag um Tag seinem Ende nähergebracht wird. Sie versichert Rocco, auch in ein solches Verlies mutig gehen zu wollen, was er anerkennend zur Kenntnis nimmt (Terzett Gut, Söhnchen, gut). Der Aufmarsch von Wachen und Offizieren kündigt Pizarros Ankunft an. Rocco händigt ihm einen Brief aus, in dem Pizarro vor überraschenden Untersuchungen des zuständigen Ministers gewarnt wird, der in den Gefängnissen Opfer politischer Willkür vermutet. Pizarro läßt die Zufahrtsstraße nach Sevilla beobachten, vereinbart ein Trompetensignal beim Nahen eines Wagens und beschließt, Florestan aus dem Weg räumen zu lassen (Arie Ha, welch ein Augenblick). Da sich Rocco selbst für viel Geld weigert, den Mord auszuführen, will Pizarro persönlich die Tat vollbringen: Rocco soll nur das Grab ausheben (Duett Jetzt, Alter, hat es Eile!). Leonore, die alles beobachtet hat, läßt trotz ihrer Verzweiflung die Hoffnung nicht sinken; die Liebe zu Florestan gibt ihr Kraft (Rezitativ und Arie Abscheulicher, wo eilst du hin! – Komm, Hoffnung?). Auf die Bitten Fidelios und Marzellines läßt Rocco die oberen Gefängnisse öffnen. Zögernd, dann jubelnd treten die Eingekerkerten ins Freie (Chor O welche Lust). Vor dem Gouverneur, der ihn wegen dieser Eigenmächtigkeit zur Rede stellt, redet sich der Kerkermeister damit heraus, es sei ja heute der Namenstag des Königs und da so üblich. Während die Gefangenen in die Zellen zurückgeführt werden, gibt Pizarro die letzten Anweisungen zur Aushebung des Grabes tief unter der Erde.

2. Akt

Florestan liegt angekettet in seiner Zelle und glaubt in seinen Fiebervisionen Leonore als rettenden Engel zu sehen. Erschöpft bricht er zusammen (Rezitativ und Arie Gott! Welch Dunkel hier! – In des Lebens Frühlingstagen). Rocco und Fidelio steigen in das Gewölbe hinab und beginnen zu graben. Leonore ist fest entschlossen, den Gefangenen, wer er auch sei, zu retten (Duett Nur hurtig fort, nur frisch gegraben). Als er sich ihr zuwendet, erkennt sie jedoch tief erschüttert das Gesicht ihres Gatten. Rocco und Fidelio geben Florestan Wein und Brot, für die er mit ergreifenden Worten dankt (Terzett Euch werde Lohn in bessern Welten). Auf ein Zeichen Roccos erscheint Pizarro, bereit zum Mord. Bevor er den Dolch zieht, gibt er sich Florestan zu erkennen (Quartett Er sterbe! Doch er soll erst wissen). Im letzten Augenblick wirft sich Leonore schützend vor Florestan und gibt sich als seine Frau zu erkennen: »Töt erst sein Weib!« Seinen Dolch pariert sie mit einer Pistole – da ertönt das Trompetensignal vom Turm, das die Ankunft des Ministers anzeigt. Pizarro und Rocco eilen nach oben. Leonore und Florestan sinken sich in die Arme (Duett O namenlose Freude!?). Don Fernando, der Minister, als »Bruder seine Brüder« aufsuchend, will allen zu Unrecht Inhaftierten die Freiheit geben. Unter den Gefangenen, die ihn mit Heil-Rufen empfangen haben, führt man seinen totgeglaubten Freund Florestan vor ihn. So wird Pizarros verbrecherische Absicht aufgedeckt – die Wache nimmt ihn fest. Der Dank für Gottes Gerechtigkeit und eine Hymne auf Leonore (Schlußchor Wer ein solches Weib errungen) bilden das emphatische Finale.

Der Oper liegt ein Auftrag Peter von Brauns, Intendant des Theaters an der Wien, zugrunde. Nachdem Beethoven sich von einer Vorlage Schikaneders, Vestas Feuer, abgewandt hatte, und weil so »frivole« Stoffe, wie sie Mozart vertont hatte, nicht in Frage kamen, besann er sich auf die von ihm bewunderte, aus der französischen Opéra-comique entwachsene sogenannte »Rettungs-« oder »Befreiungsoper« der Revolutionszeit und danach, in der die gegen jede Tyrannei gerichteten Prinzipien der politischen Freiheit, der Gerechtigkeit und der Brüderlichkeit oder einfach die Rettung eines unschuldigen Helden aus höchster Not zum Ausdruck gebracht wurde. Bouillys Libretto liegt ein authentischer, von ihm selbst erlebter Fall zugrunde: Eine Madame de Tourraine hatte, als Mann verkleidet, ihren Gatten aus der Gefangenschaft der Jakobiner in Tours befreit.
Sonnleithners dreiaktiges Libretto der 1. Fassung hatte Stephan von Breuning (17.8.1774 Bonn – 4.6.1827 Wien) auf 2 Akte zusammengefaßt; die meisten Nummern wurden gekürzt, Roccos Goldarie fiel vorerst weg. Beethoven schuf die erste Fassung der Oper 1804/05, die zweite, weitgehend aus Kürzungen bestehende Version im Frühjahr 1806. Im Frühjahr 1814 unterzog er das Werk einer letzten Umgestaltung. Doch schon während seiner ersten Arbeitsphase schrieb er zu einigen Passagen mehrere Entwürfe, so für die Florestan-Arie rund 18, für den Schlußchor 10 Skizzen.
Schon in dem Singspielduett zwischen Jaquino und Marzelline griff Beethoven über das herkömmliche Genre hinaus, indem er das Orchester die wahren Gefühle Marzellines kommentieren läßt. Das Klopfen, das diesen auf zwei Ebenen geführten Dialog ständig unterbricht, erscheint durch die Orchesterillustration wie ein symbolhaft überhöhtes allgegenwärtiges Mahnen. Ähnlich kunstvoll sind die 4 monologisierenden »Arien« von Jaquino, Marzelline, Fidelio und Rocco zu einem Quartett (Mir ist so wunderbar) verwoben. Mit Roccos Goldarie kehrt Beethoven ein letztes Mal in den Bereich des Singspiels zurück, bevor mit dem Terzett Gut, Söhnchen, gut, hab immer Mut das eigentliche Drama seinen Anfang nimmt. In ihren beiden Szenen schildern Leonore und Florestan, nach einem den äußerlichen Anlaß beschreibenden Rezitativ, mit wehmütigem Blick zurück in die Vergangenheit ihre augenblickliche Seelenlage, bevor sie in der Schlußsequenz sich ihrer Situation bewußt werden und mit einem hoffnungsvoll – hymnischen Ausdruck schließen. Ebenso rückt Beethoven nach dem Trompetenfanal die Handlung auf eine zweite Ebene, entzieht Pizarro einer politischen Lösung und überantwortet das Drama einer übergeordneten Instanz.
Nach nur zwei Wiederholungen wurde Leonore 1805 abgesetzt. Bei der auf Drängen seiner Freunde erfolgten Umarbeitung, eher einer allgemeinen Kürzung, entstand die Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 op. 72a. Den Durchbruch erzielte die Oper aber erst in ihrer dritten, dieses Mal von Beethoven initiierten Gestalt (Georg Friedrich Treitschke schuf auf Wunsch Beethovens die endgültige Textfassung); ein Terzett Marzelline / Jaquino / Rocco (Ein Mann ist bald genommen) und ein Duett Marzelline / Fidelio (Um in der Ehe froh zu leben) fielen weg. Bei der zweiten Aufführung (26. Mai) wurde die noch heute dem Werk vorangestellte sogenannte Fidelio-Ouvertüre E-Dur gespielt. (Die Leonoren – Ouvertüre Nr. 1 C-Dur war 1806 für eine Prager Aufführung gedacht; sie blieb unvollendet.)
Fidelio, ein Ideendrama, mit dem Beethoven erzieherisch wirken und aufrütteln wollte, weil er die Aufgabe der Kunst in der ethischen Bildung des Menschen sah, entwikkelt sich vom Singspiel, dem »bürgerlichen Familienstück mit seinem doppelten Boden« (H. Goldschmidt) über die große Oper zum Oratorium. Durchgehend bestimmt die Musik als moralische Instanz (neben dem Wort) den Verlauf des Geschehens; die Situationen und die Handlung müssen sich den klaren, blockhaften Szenen wie dem bildhaft heroischen Zug des Geschehens unterordnen. Als Revolutionsoper oder, wie Ernst Bloch in »Das Prinzip Hoffnung« schrieb, als Drama der Utopie bleibt der Fidelio durch das im Finale geäußerte Hohelied der Gattenliebe ein Symbol für menschliche Harmonie und zugleich eine stete Aufforderung an die Menschen, ist dieses Werk »eine Legende der erfüllten Hoffnung« (Bloch), nicht die erfüllte Hoffnung selbst. In dieser Hinsicht hat die Oper die Künstler bis in die Gegenwart gereizt. Die von Otto Nicolai 1841 erstmals vor dem 2. Akt gespielte Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 wurde von Carl Anschütz 1849 zwischen den beiden letzten Szenen gespielt, eine Praxis, die Gustav Mahler in seiner stilbildenden Wiener Aufführung von 1904 aufnahm. Den oratorischen Gestus unterstrich Wieland Wagner durch Einführung eines Sprechers (Stuttgart 1954). Gottfried Wagner (Bonn 1977) und Jurij Ljubimow (Stuttgart 1986) ließen die 3. Leonoren-Ouvertüre am Ende der Oper spielen. Beethovens erste Fassung, deren Überarbeitung u. a. Romain Rolland bemängelt hat, wurde nach einer Rekonstruktion (Berlin 1905) gelegentlich wiederaufgeführt (Kiel 1978).

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Viva la Mamma (Gaetano Donizetti) http://fritzgross.de/2010/09/viva-la-mamma-gaetano-donizetti/ http://fritzgross.de/2010/09/viva-la-mamma-gaetano-donizetti/#comments Tue, 14 Sep 2010 14:07:54 +0000 http://fritzgross.de/?p=268 Viva la Mamma
oder Die Sitten und Unsitten des Theaters

Inhaltsangabe der deutschen Bearbeitung.
Sie weicht sehr stark vom Original an!

Corilla Sartineccki die Primadonna
Stefano ihr Ehemann
Luigia Boschi die zweite Sängerin
Agata ihre Mutter
Dorotea Caccini die Mezzosopranistin
Guglielmo Antolstoinolonoff der erste Tenor
Vincenzo Biscroma der Komponist
Orazio Prospero der Librettist
Der Impresario
Chor

Inhalt

Hege Gustava Tjoenn + Marek Marzecki, Regensburg 1999

Hege Gustava Tjoenn + Marek Marzecki, Regensburg 1999

I. Akt
Probebühne des Gastspielortes: Anwesend ist das engagierte singende Personal, auch der Komponist (gleichzeitig Regisseur) und der Librettist. Die Probe beginnt mit der Arie der Ersilia mit Männerchor. Die Primadonna ist höchst entzückt über die vielen Koloraturen und Triller, die der Komponist ihr in die geläufige Gurgel geschrieben hat. So ist der Text absolut nicht zu verstehen, weshalb sie ihn auch in der originalen Sprache (italienisch) singt. Die Arie des Ersten Tenors soll folgen. Doch der, russisch-italienischer Abkunft, ist nicht recht bei Stimme, und zudem hapert es mit seinen Sprachkenntnissen. Madame Sartinecchi, die Erste Sopranistin, wünscht plötzlich eine Änderung des Librettos: Romulus soll in Ketten erscheinen, weil sie sich bei ihrem nachfolgenden Rondo an diese hängen könne. Der Librettist lehnt ab, weil Romulus als Triumphator Einzug halte, und das gehe nicht in Ketten.

Der Impresario (Intendant, Dramaturg und Werbeleiter in Personalunion) erscheint mit dem Plakatentwurf, als plötzlich Tumult hinter der Bühne entsteht: Mamma Agata, die Mutter der zweiten Sopranistin Luigia, tritt auf. Sie ist empört: man habe ihr den Zutritt zur Bühne verwehren wollen, wo doch ihr eigen Fleisch und Blut singe. Sie nimmt sich sogleich den Komponisten vor, der das Rondo für ihre Tochter immer noch nicht fertig habe. Wenn sie kein Rondo bekäme, würde die ganze Stadt revoltieren. Und Mamma weiß auch, wie dieses Rondo auszusehen hat: erst viele Triller, dann sehr schnell mit vielen Synkopen. Der Komponist beruhigt sie. Bei der Begutachtung des Plakatentwurfs stellt Stefano, Ehemann der Primadonna, fest, daß der Titel des Werks geändert werden muß: Seine Frau habe immer an erster Stelle erwähnt zu werden; also: „Ersilia und Romulus“. Der Textdichter überzeugt ihn: Immer stehe der Mann an erster Stelle, z.B. bei „Orpheus und Eurydike“, „Romeo und Julia“, „Tristan und Isolde“ – vom Anbeginn der Schöpfung sei es so geregelt, siehe „Adam und Eva“. Der etwas komplizierte Name des Tenors ist verdruckt und muß korrigiert werden. Über die Applausordnung gerät man in Streit; die Mezzosopranistin verläßt das Theater. Mamma Agata macht abfällige Bemerkungen über die Herkunft der Primadonna: Noch vor nicht allzu langer Zeit habe sie Krapfen auf dem Marktplatz verkauft, die ihr Mann in ranzigem Öl gebacken habe. Stefano verteidigt in einer großen Arie die (musikalische) Ehre seiner Frau. Agata versucht, den Komponisten zu einem Duett für ihre Tochter und die Primadonna zu bewegen. Doch die Sartinecchi lehnt brüsk ab; mit einem Flittchen werde sie nie ein Duett singen und tut’s dann doch: beide beschimpfen einander in wüsten Tönen. Die Mezzosopranistin ist inzwischen abgereist; Stefano bietet sich als Ersatz an, aber auch Agata will einspringen. Der Tenor versucht sein Duett mit Agata und ist empört: Die Dame brülle wie ein Kalb, sei immer zu tief usw. Er geht. Stefano (Bariton) soll jetzt die Tenorpartie übernehmen.

Der Librettist kommt mit der Post: Eine Zeitung für Stefano, der zu entnehmen ist, daß die Stadt noch immer über die Subvention des Theaters berate und einen Brief für Luigia, aus dem sie und ihre Mutter erfahren, daß der Impresario stets finanziell abgebrannt sei.
Plötzlich fällt allen auf, daß sie noch keinen Vorschuß erhalten haben. Die Forderung: „Erst Vorschuß, dann geht die Probe weiter!“ kontert der Impresario mit dem Hinweis auf die vertraglich festgelegte Konventionalstrafe bei Vertragsbruch.

Stefan Sevenich + Ursula Hennig + Marek Marzecki Regensburg 1999

Stefan Sevenich + Ursula Hennig + Marek Marzecki Regensburg 1999

2. Akt
Der Impresario hat die Übriggebliebenen überredet weiterzumachen; erreicht hat der dies mit dem Appell an das Künstlertum der Sängerinnen und Sänger, das höher zu bewerten sei als die Gage. Die Generalprobe beginnt. Die Primadonna singt ihre Arie mit Chor. Agata tritt an den Impresario mit dem Vorschlag heran, sie könne notfalls ihren Schmuck verpfänden und mit dem Geld die Aufführung retten. Sie besteht darauf, die Rolle der Mezzosopranistin zu übernehmen. Da ihr die Partie zu hoch liegt, transponiert das Orchester, und da ihre Stimme nicht ausgebildet ist, spielen die Streicher mit Dämpfer. Es folgt die zweite Arie der Ersten Sopranistin und schließlich die in der Opera seria übliche Apotheose, meist eine triumphale Verherrlichung des Auftraggebers. Stefano beherrscht seine Partie noch nicht und muß wiederholen. Man entscheidet sich, direkt zum Trauermarsch zu springen, zu dessen Klängen Ersilia dem Opfertod zugeführt werden soll. Der Schluß ist wie aus dem Lehrbuch der Opera seria (und damit typisch für ein Libretto von Pietro Metastasio): Romulus soll Ersilia den Göttern opfern, obwohl (oder weil das die Tragik ins Unermeßliche überhöht: gerade weil) er sie liebt. Ehe er zusticht erscheint Luigia als Götterbote und sorgt für das glückliche Ende (lieto fine).

Hege Gustava Tjoenn + Opernchor des Theaters Regensburg 1999

Hege Gustava Tjoenn + Opernchor des Theaters Regensburg 1999

Der Primadonna ist der Schluß zu kurz: sie wünscht sich vom Komponisten als Verlängerung eine veritable Tempesta, was den Chor freut, denn bei einer solchen Sturmmusik ist er traditionell mit von der Partie. Ein Bote stört die Generalprobe. Der Impresario geht zu ihm hinaus und kommt mit einer Hiobsbotschaft zurück. Der Stadtrat hat befunden, daß ohne die abgereisten Gesangsstars die am Gastspielort gewohnte hohe Qualität nicht mehr garantiert sei; ein Zuschuß kommt daher nicht in Frage. Wenn die Truppe dennoch auftreten möchte, muß sie zuvor eine hohe Kaution hinterlegen. Mamma Agata trennt sich von ihrem Schmuck und hinterlegt ihn als Kaution. Die Aufführung von „Romulus und Ersilia“ kann stattfinden.

Ob und wie sie jedoch stattfindet, erfahren wir nicht mehr; denn die Oper endet anstatt in einem Triumphgesang auf die Götter und die Macht der Liebe zwischen Romulus und Ersilia in einem allgemeinen Lob für die großzügige Mamma Agata.

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Don Giovanni (W. A. Mozart) http://fritzgross.de/2010/09/don-giovanni-w-a-mozart/ http://fritzgross.de/2010/09/don-giovanni-w-a-mozart/#comments Tue, 14 Sep 2010 13:54:05 +0000 http://fritzgross.de/?p=254 Don Giovanni  (W. A. Mozart)

(vollständiger Titel: Il dissoluto punito o sia Il Don Giovanni / Der bestrafte Wüstling oder Don Juan),
Dramma giocoso in 2 Akten von Wolfgang Amadeus Mozart.
Text von Lorenzo da Ponte.
Uraufführung: 29.10.1787 Prag, Gräflich Nostitzsches Nationaltheater (heute Tyl-Theater).

PERSONEN:
Don Giovanni, junger und außerordentlich zügelloser Edelmann (Bariton) –
Il Commendatore / Der Komtur (Baß) –
Donna Anna, seine Tochter, Verlobte Don Ottavios (Sopran) –
Don Ottavio (Tenor) –
Donna Elvira, Edeldame aus Burgos, von D. Giovanni verlassen (Sopran) –
Leporello, Diener Don Giovannis (Baß) –
Masetto, ein junger Bauer (Baß) –
Zerlina, Bäuerin, Verlobte Masettos (Sopran) –
Bäuerinnen und Bauern, Diener, Stimmen aus der Tiefe der Erde.

ORT UND ZEIT: Eine Stadt in Spanien, 17./18. Jh.
SPIELDAUER: ca. 3 Stunden (1. Akt: ca. 95 min.; 2. Akt: ca. 85 min.).

Katharina Warken und Fabrice Dalis, Zwingenberg 1998

1. Akt. Vor dem Haus des Komturs hält Leporello in dunkler Nacht Wache. Plötzlich wird es laut: Don Giovanni stürzt heraus, verfolgt von Donna Anna, die den ihr unbekannten Eindringling an der Flucht zu hindern sucht. Auf ihre Hilferufe eilt der Komtur hinzu und stellt Don Giovanni zum Zweikampf, in dem der alte Edelmann tödlich verwundet wird. Entsetzt findet ihn Donna Anna, die ins Haus geeilt war, um ihren Verlobten zu holen. Über der Leiche des Vaters muß Don Ottavio ihr schwören, an dem Mörder blutige Rache zu üben. – Kaum hat sich Don Giovanni mit seinem Diener davongemacht, ist er auf der Suche nach neuen Liebesabenteuern. Schon wittert er wieder eine Frau in seiner Nähe, und in der Tat: Eine vornehme Dame, die sich allein glaubt, klagt um einen Geliebten, der sie verlassen hat und den sie wiederzufinden hofft. Don Giovanni spricht sie an – und prallt zurück: Es ist Donna Elvira. Ihren Vorwürfen ausweichend, überläßt er es Leporello, ihr klarzumachen, daß sie nur eine von Unzähligen ist, die Don Giovanni verführt und verlassen hat (Arie Madamina, il catalogo e questo / Schöne Dame, dies genaue Register?). –
Don Giovanni trifft auf eine Hochzeitsgesellschaft, und da ihn die Braut, Zerlina, interessiert, lädt er alle auf sein Schloß ein. Verständlich, daß der Bräutigam, Masetto, nur widerwillig mitgeht (Arie Ho capito, signor si / Ich hab verstanden). Mit einem Heiratsversprechen will Don Giovanni Zerlina gefügig machen (Duettino La ci darem la mano / Reich mir die Hand, mein Leben).

Paul Gay Sarah Gross und Johannes von Duisburg Zwingenberg 1998

Donna Elvira tritt dazwischen und nimmt Zerlina unter ihren Schutz (Arie Ah, fuggi il traditor / O flieh, Betrogene, flieh). Auf der Suche nach dem Mörder treffen Donna Anna und Don Ottavio auf Don Giovanni und bitten ihn um Mithilfe. Donna Elvira warnt die beiden vor dem Verräter (Quartett Non ti fidar, o misero / Traue dem glatten Heuchler nicht). Vergeblich versucht Don Giovanni sie als verrückt hinzustellen; Donna Anna und ihr Verlobter werden mißtrauisch, ja, Donna Anna ist ganz sicher, daß Giovanni es war, der in ihr Zimmer eindrang. Jetzt erst schildert sie Don Ottavio den ganzen Vorgang und stachelt noch einmal seine Rache an (Arie Or sai, chi l’onore / Du kennst nun den Frevler). Ottavio ist bereit, alles für sie zu tun (Arie Dalla sua pace / Nur ihrem Frieden?). – Für den Abend läßt Don Giovanni ein großes Fest auf seinem Schloß vorbereiten (Champagnerarie: Fin ch’han dal vino / Treibt der Champagner erst?). Zerlina gelingt es, Masettos Eifersucht zu besänftigen (Arie Batti, batti, o bel Masetto / Schmäle, tobe, lieber Junge), und übersteht auch eine weitere verfängliche Situation mit Don Giovanni und Masetto. Als Gäste werden auch drei maskierte Personen zum Fest gebeten: Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio. Hier wollen sie Don Giovanni stellen. Während des Festtreibens erklingen gleichzeitig drei Tänze, ein Menuett, ein Contretanz und ein Deutscher Tanz. Don Giovanni gelingt es, Zerlina in ein Nebenzimmer zu drängen. Plötzlich ertönen ihre Angstschreie. Man eilt ihr zur Hilfe. Don Giovanni hat die Kühnheit, Leporello als den Missetäter zu präsentieren, doch niemand glaubt ihm. Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio nehmen die Masken ab und drohen Don Giovanni das nahe Ende an (Trema, trema, celerato / Ehrvergeßner, schweig und zittre).

Bild: Daniel Böhm und Hélène Obadia, Zw-berg 1998

2. Akt. Leporello hat genug, er will seinen Dienst aufkündigen, aber mit einem Beutel Geld läßt er sich erneut ködern. Don Giovanni hat es jetzt auf Donna Elviras Zofe abgesehen. Um ans Ziel zu gelangen, tauscht er im nächtlichen Dunkel vor Elviras Haus Hut und Mantel mit seinem Diener. Als Elvira am Fenster erscheint, mimt Leporello seinen Herrn, während dieser hinter ihm mit süßen Bitten um Vergebung sie bewegt, herunterzukommen. Mit dem falschen Don Giovanni tauscht sie Koseworte, der echte macht plötzlich mörderischen Lärm und jagt die beiden davon – das Haus ist frei, Don Giovanni kann zur Laute greifen und der Zofe ein Ständchen singen (Canzonetta Deh! vieni alla finestra / Horch auf den Klang der Zither). Da machen sich Bauern und Masetto bemerkbar. Sie suchen Don Giovanni, um ihn totzuschlagen. Immer noch in Leporellos Kleidern gelingt es Don Giovanni, sie in die Irre zu führen, Masetto abzusondern und kräftig zu verprügeln. Für ihren völlig zerschlagenen Bräutigam hat Zerlina aber süßen Trost (Arie Vedrai, carino / Wenn du fein artig bist). – Leporello, noch mit Donna Elvira als falscher Giovanni unterwegs, wird von Zerlina und Masetto, dann von Donna Anna und Ottavio gestellt. Sie stürzen sich mit gezückten Waffen auf ihn, nur Donna Elvira bittet um Erbarmen für ihren – vermeintlichen – Geliebten. Um Gnade winselnd wirft Leporello Hut und Mantel seines Herrn ab und entflieht. Don Ottavio erneuert seine Mahnung, den wahren Übeltäter zu fassen. Er setzt seine Suche nach ihm fort und bittet seine Freunde, unterdessen Donna Anna beizustehen (Arie Il mio tesoro / Folget der Heißgeliebten). Donna Elvira empfindet aber immer noch mehr Mitleid als Rache (Arie Mi tradì / Mich verriet der Undankbare). – Auf einem Friedhof treffen sich Don Giovanni und Leporello wieder. Ausgelassen berichtet Giovanni von seinen Abenteuern, da unterbricht ihn eine geisterhafte Stimme: das Lachen werde ihm noch vor Morgengrauen vergehen. Seinen vor Angst schlotternden Diener zwingt er, das Standbild über dem Grab des Komturs, von dem die Stimme kam, zum Abendessen auf das Schloß einzuladen. Die Statue nickt und läßt ein deutliches »Ja!« ertönen. –
Ottavio bittet Donna Anna in aller Ergebenheit, sie durch die Verbindung mit ihm trösten zu dürfen, aber sie kann sich zu diesem Schritt noch nicht entschließen (Arie Non mi dir /Sag mir nicht, o mein Geliebter). – Auf seinem Schloß läßt sich Don Giovanni von Leporello – der sich dabei heimlich selbst bedient – ein festliches Mahl auftragen. Musiker spielen dazu beliebte Opernmelodien von Soler, Sarti und Mozart. Verzweifelt erscheint noch einmal Elvira, um ihren einstigen Geliebten zu Einsicht und Umkehr zu bewegen. Umsonst, die Frauen und den Wein preisend, weist er sie spöttisch ab. Im Hinausgehen prallt Donna Elvira mit einem Schrei zurück und flieht durch einen anderen Ausgang: Die Statue vom Kirchhof pocht an die Tür (Don Giovanni, a cenar teco / Don Giovanni, du hast zum Nachtmahl mich geladen?). Jede irdische Speise zurückweisend, fragt sie Don Giovanni, ob er seinerseits bereit sei, eine Einladung anzunehmen. Don Giovanni bejaht und gibt seine Hand darauf. Diese Hand fest und fester haltend, fordert die Statue ihn zur Reue auf, mehrfach und immer drohender. Don Giovanni gibt jedes Nein wie einen Degenstoß zurück. Da beginnt die Erde zu beben, sie öffnet sich, Flammen brechen hervor und verschlingen Don Giovanni. –
Sobald der Sturm verebbt ist, finden sich alle Opfer und Gegenspieler des »bestraften Missetäters« zusammen. »Also stirbt, wer Böses tat«, lautet ihre Nutzanwendung für das Publikum. Für sich selbst ziehen auch sie die Konsequenz: Donna Anna bittet Don Ottavio erstaunlicherweise um ein weiteres Jahr Geduld, Donna Elvira geht ins Kloster, Zerlina mit Masetto nach Hause zum Essen, Leporello ins Wirtshaus, um einen neuen Herrn zu suchen.

Daniel Böhm, Hélène Obadia, Fabrice Dalis, Katharina Warken, Hermine May, Paul Gay

Nachbetrachtung

Nach dem herausragenden Erfolg, den der Figaro Ende 1786 in Prag erlebt hatte, gab Pasquale Bondino Mozart den Auftrag zu einer Oper eigens für Prag. Den Stoff schlug da Ponte vor. Da dieser gleichzeitig noch an zwei Opern für Martín y Soler und Salieri arbeitete, bedeutete diese Wahl für ihn eine große Erleichterung; als Vorbild diente da Ponte Giuseppe Gazzanigas am 5.2.1787 im Teatro San Moisè in Venedig uraufgeführter Don Giovanni o sia Il convitato di pietra mit dem Libretto von Giovanni Bertati. Der Stoff stammt aus Spanien und erhielt seine erste literarische Gestalt durch Tirso de Molinas El burlador de Sevilla y convidado de piedra (aufgeführt 1630). Weitere Dramatisierungen stammen u. a. von Molière (1665) und Goldoni (1736); durch das Volks- und Puppentheater, das sich der Figur von Don Juans Diener annahm, drang der Stoff im 18. Jahrhundert in das Genre der Opera buffa vor – ebenfalls in Venedig wurde am 5.2.1787 Francesco Gardis tragikomischer Il nuovo convitato di pietra aufgeführt; im gleichen Jahr folgte noch Calegaris Il convitato di pietra. Bei Bertati, der Tirso de Molinas Grundkonstellation folgte, fand da Ponte bereits alle Situationen seines späteren Librettos vor, allerdings ohne die individuelle Charakterisierung, die erst da Ponte den Figuren zu geben verstand.
Da Ponte folgte bis zum Quartett des 1. Aktes (Nr. 9) und wieder ab der Friedhofsszene (einige Namensänderungen eingeschlossen) weitgehend Bertati. Den musikalischen Grundduktus des Werkes bestimmen ein dunkel glühendes Pathos und eine erotische Triebkraft, die unstillbar um Leid, Leidenschaft, Schmerz, Sinnlichkeit und Tod kreisen. Die Gewalt dieser Emotionen gibt der Handlung eine bis zu Don Giovannis Untergang anhaltende finstere Dramatik.
Don Giovanni, der Lüstling, der sich durch seinen Mord selbst aus der Gesellschaft ausgegliedert hat, erscheint als ein von Dämonie gepeitschter Verführer, der seinem Untergang bewußt zustrebt. Verführerisch und lockend ist das Duett mit Zerlina La ci darem la mano, voll dunkler Vitalität strotzt seine sogenannte »Champagnerarie«. Ausgewogengen mit jeweils 12 Nummern ist das Gleichgewicht zwischen Soloarie und Ensemble.
Auf meisterhafte Weise überblendet Mozart den historischen, im Spanien des 17. Jahrhunderts angesiedelten Stoff während Don Giovannis Abendbankett in die eigene Gegenwart durch die Anspielungen auf drei allgemein bekannte Opern, die im Wien bzw. Prag dieser Jahre aufgeführt worden waren: Giuseppe Sartis Fra i due litiganti (1782), Martín y Solers Una cosa rara (1786) und Figaros Non piu andrai aus Mozarts eigenem Nozze di Figaro.
Mozart traf am 4.10. mit Constanze in Prag ein (Mörike malte diese Reise in seiner Novelle Mozart auf der Reise nach Prag frei aus) und überwachte die Einstudierung. Die ursprünglich als Festvorstellung zu Ehren des Prinzen von Sachsen gedachte Premiere wurde zweimal verschoben. Für die Wiener Aufführung am 7.5.1788 komponierte Mozart 3 Stücke nach: Ottavios Il mio tesoro wurde im 1. Akt durch Dalla sua pace ersetzt (in heutigen Aufführungen werden meist beide Arien gesungen): hinzu kamen Elviras Mi tradì und das heute fast immer gestrichene Duett Zerlina/Leporello Per queste tue manine / Bei diesen kleinen Händchen. Weggelassen wurde in Wien, wie vielfach dann im 19. Jahrhundert, die Schlußszene nach Don Giovannis Tod. Die erste deutschsprachige Übersetzung stammt von H. G. Schmieder (1789 Mainz); im 20. Jahrhundert setzten sich die Übersetzungen von H. Levi (1896) und G. Schünemann (1940) durch; Walter Dürrs Fassung für die Neue Mozart-Ausgabe (1977) wurde schon 1969 erstmals in Salzburg gespielt.
Die Zeugnisse zu Don Giovanni sind vielfältig, und alle unterstreichen den Ausnahme- charakter des Stückes. E. T. A. Hoffmann – für ihn war der Giovanni die »Oper aller Opern« – hat in seiner Don Juan-Erzählung (1813) das Verhältnis Donna Anna – Don Giovanni als Liebesbeziehung interpretiert. Goethe schrieb 1797 an Schiller, »Ihre Hoffnung, die Sie von der Oper hatten [nämlich daß aus ihr sich »das Trauerspiel in einer edlern Gestalt« entwickeln würde], würden Sie neulich im Don Juan auf einen hohen Grad erfüllt gesehen haben«, und Kierkegaard bezeichnete das Werk in seiner Musikästhetik von 1843 Entweder–Oder als »Inkarnation der Genialität des Sinnlichen«. Auch Brecht (»dieser Gipfel ist nie wieder erreicht worden«) und die Philosophen Ernst Bloch und Ortega y Gasset waren Bewunderer des Don Giovanni.
Die Bühne hat sich indessen mit dieser Oper nicht leichtgetan. Bühnengeschichte machten Max Slevogts Ausstattungen für Dresden (1924), gerühmt wurde Gustav Mahlers Aufführung mit Alfred Rollers beweglichen Bühnentürmen (Wien 1905, ohne Schlußsextett). 1917 inszenierte Ernst Lert die Oper in Leipzig auf der Basis von Kierkegaards Deutung, kalt und klar realisierten Klemperer und Düllberg den Don Giovanni 1928 an der Berliner Kroll-Oper, und als Mysterienspiel stellten ihn Furtwängler und Graf 1953 in Salzburg auf die Bühne. Bei Bohumil Herlischka (München 1974) brachte sich Don Giovanni selbst um, bei John Dew (Bielefeld 1983) war Don Ottavio der Mörder. Joseph Losey gelang 1979 eine überzeugende Adaption der Oper an den Film.

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Schlusschor (Botho Strauß) http://fritzgross.de/2010/09/schlusschor-botho-straus/ http://fritzgross.de/2010/09/schlusschor-botho-straus/#comments Mon, 13 Sep 2010 20:15:41 +0000 http://fritzgross.de/?p=203 Schlusschor (Botho Strauß)

Das Stück besteht aus drei nahezu vollständig voneinander losgelösten Akten, die jeweils eine Gruppe von Menschen portraitieren. Im ersten Akt mit dem Titel Sehen und gesehen werden sind es 15 Männer und Frauen, die für ein Gruppenfoto posieren. Während der Fotograf die richtige Einstellung sucht, unterhalten sich die in vier Reihen aufgestellten Personen durcheinander. Es sind zusammenhanglose, einzelne Gesprächsfetzen, die von jedem beliebigen Betriebsausflug stammen könnten.

Anne Schmidt-Krayer in Schlußchor, Botho Strauß Karlsruhe 1991

Der Fototermin zieht sich in die Länge (Fotograf: „Ich fotografiere euch so lange, bis ihr ein Gesicht seid. Ein Kopf – ein Mund – ein Blick. Ein Antlitz!“), die Gruppe wird ungeduldig und fängt an, absurde Drohungen gegen den Fotografen auszustoßen. Nach einer „Kanonade kurzer lauter Befehle“ wird es dunkel. „Wenn es wieder hell wird“, so die Regieanweisung, „liegen vom Fotografen nur noch ein Bündel Kleider und die Schuhe auf dem Boden“. – Der zweite Akt trägt den Titel Lorenz vor dem Spiegel (Aus der Welt des Versehens). Lorenz ist Architekt und irrt sich in der Wohnung seiner Auftraggeberin Delia in der Tür. Dabei überrascht er die nackte Delia im Bad – ein banaler Zwischenfall mit tragischem Ausgang. Im anschließenden Gespräch – eigentlich über den Ausbau ihres Dachgeschosses – kommt die Sprache in zunehmend manierierter werdendem, mythisch überhöhtem Ton immer wieder auf die versehentliche Begegnung im Bad zurück.

Während Lorenz Delias unverhüllte Schönheit mit Kunstwerken vergleicht, gemahnt sie ihn an das Schicksal von Actaeon, den die Jagdgöttin Diana, nachdem er sie im Bad erblickt hatte, in einen Hirsch verwandelte und der sodann von seinen eigenen Hunden zerfleischt wurde. Die zweite Szene spielt in der Garderobe einer Villa, die nach und nach von den Gästen einer Party – mal einzeln, mal paarweise – aufgesucht wird: von der „Frau in Schilfgrün“, der „Unbedachten“, dem „Bitteren Mann“. Bruchstücke der Party-Konversation sind zu hören. Unter den Gästen befindet sich auch Lorenz, der Architekt, der immer wieder vor den großen Garderobenspiegel tritt, um sich Mut zu machen für seine Begegnung mit Delia.

Als er, nach einem offenbar mißlungenen Auftritt, gerade gehen will, erscheint Delia im Spiegel, „nackt wie zu Beginn, in derselben Pose“. Da erschießt sich Lorenz. – Der dritte Akt, Von nun an, spielt in einem Restaurant. Zwischen der Konversation der Gäste verkündet „Der Rufer“, der schon im 2. Akt immer wieder mit einem gebrüllten „Deutschland“ auf sich aufmerksam machte, den Fall der Mauer. Ein Paar von drüben taucht auf, und die Adlige Anita von Schastorf hängt ihren monarchistischen Träumen nach. Das Stück endet damit, daß Anita einen Steinadler aus dem Zoo befreit, um ihn anschließend zu töten.

Drei Menschengruppen, gleichsam drei Chöre, die aber nicht im Einklang singen, sondern, aufgelöst in mehr oder weniger gesichtslose Figuren, Banalitäten von sich geben, dazwischen zwei Tote und – fulminanter Abschluß – das abgeschlachtete Wappentier der Bundesrepublik – doch alles scheint gleichermaßen bedeutend oder unbedeutend, die kleinen privaten Geschichten ebenso wie die mitunter heraufbeschworenen Mythen und – der historische Augenblick des Mauerfalls.

Benjamin Henrichs hat das Stück „die Mikroskopierung des Mikrodramas“ genannt: „die kürzesten und schnellsten Stücke der Welt: jeder Satz ein Drama für sich.“ Zugleich sieht er darin „so etwas wie die Schlußversammlung aller bisher bekannten Botho-Strauß-Gesichter und – Gefühle. Ein Scherbenhaufen, ein Wühltisch, eine Krabbelkiste der schönsten Sätze und Effekte. Kein „Museum der Leidenschaften“, sondern ein Bazar der Bagatellen.“.

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Besucher (Botho Strauß) http://fritzgross.de/2010/09/besucher-botho-straus/ http://fritzgross.de/2010/09/besucher-botho-straus/#comments Mon, 13 Sep 2010 20:11:47 +0000 http://fritzgross.de/?p=199 Besucher (Botho Strauß)

Max, ein mittelmäßiger Schauspieler, hat Probleme mit sich selbst und seiner Rolle. Und so kommt es während einer Theaterprobe, in der er dem berühmten alten Schauspieler Karl Joseph gegenübersteht und sich wieder einmal nicht in seinem Part zurechtfindet, zu einer Debatte über das Theater schlechthin, das Max „von den Übeln des kranken Realismus befreien“ will: „Was wir brauchen, ist wieder ein revolutionäres Gefühl, eine Aufbruchstimmung.“ Der Alte dagegen, immer noch vom Ruhm der Nachkriegsjahre zehrend, will „realistisch“ bleiben, „meinetwegen bis sie unten alle eingeschlafen sind“. Die Probe an dem Stück, in dem es um einen ins Zwielicht geratenen Genetikprofessor geht, wird aber auch vom Pförtner unterbrochen, der plötzlich durch das Bühnenbild läuft und sich über Walkie-Talkie mit seiner Frau unterhält. Diese fürchtet sich vor „blinden Besuchern, die sich zwischen den Kostümen verstecken, und plötzlich stehen sie abends mit auf der Bühne“.

Probleme mit der eigenen Rolle hat auch die alternde Diva Edna Gruber. Sie, die schon seit Jahren ein alternatives Leben auf dem Lande führt, sieht sich nicht mehr in der Lage, eine Frau zu spielen, „die Tierexperimente verteidigt“. – Der zweite Akt beginnt mit dem Ende einer Fernseh-Talkrunde, zu der Max nur aufgrund einer Namensverwechslung eingeladen wurde, und in der er sich in angetrunkenem Zustand ziemlich blamiert hat. Während der nächsten Theaterprobe wird ihm seine Rolle entzogen. Da taucht er plötzlich als Zuschauer des Stückes auf, in dem seine eigene Geschichte gespielt wird: „Ich gehe ins Theater, um mir die Sorgen zu vertreiben. Was sehe ich aber auf der Bühne: haargenau meine Sorgen.“

Der dritte Akt spielt auf einem verlassenen Jahrmarkt, wo Max skurrilen Gestalten begegnet: etwa dem Wurfbudenmann, der einsam die Stellung bis zur nächsten Kirmes hält und in dem sich Max wiederzuerkennen glaubt, oder dem Mann mit Lautsprecherstab, dem nur die Stimme seiner Geliebten geblieben ist. Hier trifft er aber auch Figuren wieder, die in den beiden ersten Akten eine Rolle gespielt haben: seine Freundin Lena, die Arm in Arm mit seinem eigenen Double daherkommt, die Blinde, die in Wirklichkeit gar nicht blind, sondern Schauspielerin ist, Edna Gruber, der es gelingt, Max wieder zu seiner Rolle zu verhelfen. Das Stück endet, wie es begonnen hat – auf der Bühne eines Theaters, wo ein Stück geprobt wird.

"Besucher" von Botho Strauß in Karlsruhe 1989 Jörg Ratjen + Friedhelm Becker

Die Figuren geraten mit ihren Rollen als Schauspieler und ihren Rollen im „richtigen“ Leben durcheinander. Eine Komödie, die als kunstvoll gebautes Vexierspiel zwischen Theater und Wirklichkeit jongliert. Dabei wird die Grenze zwischen den unterschiedlichen Spielebenen – dem Stück im Stück und dem Leben jenseits des Theaters – im Laufe der drei Akte immer fließender und zunehmend von surrealen Traumsequenzen überlagert. Zugleich aber liefert S. hier in gewohnter Manier ein Stück bundesrepublikanische Wirklichkeit, diesmal angesiedelt im Theater- und Kulturbetrieb, der sich verzweifelt um Sinnstiftung bemüht.

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