Fidelio (L. v. Beethoven)

Fidelio

Oper in 2 Akten von Ludwig van Beethoven. Text von Joseph Ferdinand von Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke nach Jean-Nicolas Bouillys Léonore ou L’amour conjugal. Uraufführung der 1. Fassung in 3 Akten als Fidelio oder Die eheliche Treue: 20.11.1805 Wien, Theater an der Wien. Uraufführung der 2. Fassung in 2 Akten als Leonore oder Der Triumph der ehelichen Liebe: 29.3.1806 ebd. Uraufführung der 3. Fassung als Fidelio: 23.5.1814 Wien, Kärntnertortheater.

PERSONEN:
Don Fernando, Minister (Bariton) –
Don Pizarro, Gouverneur eines Staatsgefängnisses (Bariton) –
Florestan, ein Gefangener (Tenor) –
Leonore, seine Gemahlin, unter dem Namen Fidelio (Sopran) –
Rocco, Kerkermeister (Baß) –
Marzelline, seine Tochter (Sopran) –
Jaquino, Pförtner (Tenor) –
1. Gefangener (Tenor) –
2. 2. Gefangener (Baß) –
3. Wachsoldaten, Gefangene, Volk.

ORT UND ZEIT: Ein Spanisches Staatsgefängnis bei Sevilla, 18. Jahrhundert.

SPIELDAUER: ca. 2 Stunden (1. Akt: ca. 70 min.; 2. Akt: ca. 50 min.).

1. Akt

Jaquino drängt Marzelline, ihn endlich zu heiraten (Duett Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein), doch sie hat sich gerade in den neuen Gehilfen ihres Vaters, Fidelio, verliebt und träumt von einem künftigen Glück mit ihm (Arie O wär ich schon mit dir vereint). Hinter Fidelio verbirgt sich Leonore, die Frau des Staatsbeamten Florestan, der plötzlich verschwunden ist und von seinen Freunden für tot gehalten wird. Leonore ist überzeugt, daß ihr Mann hier gefangengehalten wird, als politischer Gegner und Opfer Don Pizarros, dessen Verbrechen er aufdeckte. Deshalb ließ sie sich, als Mann verkleidet, einstellen. Rocco ist erfreut über den Diensteifer Fidelios, er sieht in ihm bereits den künftigen Schwiegersohn. Fidelio aber erkennt mit Bestürzung Marzellines Zuneigung zu ihr und Jaquinos Eifersucht (Quartett Mir ist so wunderbar?). Rocco gibt Marzelline und Fidelio bereits Ratschläge: für ihr künftiges Eheglück sei nicht nur Liebe notwendig (Arie Hat man nicht auch Gold beineben). Fidelio nutzt Roccos Vertrauen zu der Bitte, ihn in die unterirdischen Gewölbe des Gefängnisses begleiten zu dürfen. Der Kerkermeister willigt ein, fügt aber hinzu, daß es eine Zelle gebe, die Fidelio wohl nie betreten dürfe. Roccos Andeutungen lassen Leonore erahnen, daß es ihr Mann sein könnte, der dort als persönlicher Gefangener Pizarros Tag um Tag seinem Ende nähergebracht wird. Sie versichert Rocco, auch in ein solches Verlies mutig gehen zu wollen, was er anerkennend zur Kenntnis nimmt (Terzett Gut, Söhnchen, gut). Der Aufmarsch von Wachen und Offizieren kündigt Pizarros Ankunft an. Rocco händigt ihm einen Brief aus, in dem Pizarro vor überraschenden Untersuchungen des zuständigen Ministers gewarnt wird, der in den Gefängnissen Opfer politischer Willkür vermutet. Pizarro läßt die Zufahrtsstraße nach Sevilla beobachten, vereinbart ein Trompetensignal beim Nahen eines Wagens und beschließt, Florestan aus dem Weg räumen zu lassen (Arie Ha, welch ein Augenblick). Da sich Rocco selbst für viel Geld weigert, den Mord auszuführen, will Pizarro persönlich die Tat vollbringen: Rocco soll nur das Grab ausheben (Duett Jetzt, Alter, hat es Eile!). Leonore, die alles beobachtet hat, läßt trotz ihrer Verzweiflung die Hoffnung nicht sinken; die Liebe zu Florestan gibt ihr Kraft (Rezitativ und Arie Abscheulicher, wo eilst du hin! – Komm, Hoffnung?). Auf die Bitten Fidelios und Marzellines läßt Rocco die oberen Gefängnisse öffnen. Zögernd, dann jubelnd treten die Eingekerkerten ins Freie (Chor O welche Lust). Vor dem Gouverneur, der ihn wegen dieser Eigenmächtigkeit zur Rede stellt, redet sich der Kerkermeister damit heraus, es sei ja heute der Namenstag des Königs und da so üblich. Während die Gefangenen in die Zellen zurückgeführt werden, gibt Pizarro die letzten Anweisungen zur Aushebung des Grabes tief unter der Erde.

2. Akt

Florestan liegt angekettet in seiner Zelle und glaubt in seinen Fiebervisionen Leonore als rettenden Engel zu sehen. Erschöpft bricht er zusammen (Rezitativ und Arie Gott! Welch Dunkel hier! – In des Lebens Frühlingstagen). Rocco und Fidelio steigen in das Gewölbe hinab und beginnen zu graben. Leonore ist fest entschlossen, den Gefangenen, wer er auch sei, zu retten (Duett Nur hurtig fort, nur frisch gegraben). Als er sich ihr zuwendet, erkennt sie jedoch tief erschüttert das Gesicht ihres Gatten. Rocco und Fidelio geben Florestan Wein und Brot, für die er mit ergreifenden Worten dankt (Terzett Euch werde Lohn in bessern Welten). Auf ein Zeichen Roccos erscheint Pizarro, bereit zum Mord. Bevor er den Dolch zieht, gibt er sich Florestan zu erkennen (Quartett Er sterbe! Doch er soll erst wissen). Im letzten Augenblick wirft sich Leonore schützend vor Florestan und gibt sich als seine Frau zu erkennen: »Töt erst sein Weib!« Seinen Dolch pariert sie mit einer Pistole – da ertönt das Trompetensignal vom Turm, das die Ankunft des Ministers anzeigt. Pizarro und Rocco eilen nach oben. Leonore und Florestan sinken sich in die Arme (Duett O namenlose Freude!?). Don Fernando, der Minister, als »Bruder seine Brüder« aufsuchend, will allen zu Unrecht Inhaftierten die Freiheit geben. Unter den Gefangenen, die ihn mit Heil-Rufen empfangen haben, führt man seinen totgeglaubten Freund Florestan vor ihn. So wird Pizarros verbrecherische Absicht aufgedeckt – die Wache nimmt ihn fest. Der Dank für Gottes Gerechtigkeit und eine Hymne auf Leonore (Schlußchor Wer ein solches Weib errungen) bilden das emphatische Finale.

Der Oper liegt ein Auftrag Peter von Brauns, Intendant des Theaters an der Wien, zugrunde. Nachdem Beethoven sich von einer Vorlage Schikaneders, Vestas Feuer, abgewandt hatte, und weil so »frivole« Stoffe, wie sie Mozart vertont hatte, nicht in Frage kamen, besann er sich auf die von ihm bewunderte, aus der französischen Opéra-comique entwachsene sogenannte »Rettungs-« oder »Befreiungsoper« der Revolutionszeit und danach, in der die gegen jede Tyrannei gerichteten Prinzipien der politischen Freiheit, der Gerechtigkeit und der Brüderlichkeit oder einfach die Rettung eines unschuldigen Helden aus höchster Not zum Ausdruck gebracht wurde. Bouillys Libretto liegt ein authentischer, von ihm selbst erlebter Fall zugrunde: Eine Madame de Tourraine hatte, als Mann verkleidet, ihren Gatten aus der Gefangenschaft der Jakobiner in Tours befreit.
Sonnleithners dreiaktiges Libretto der 1. Fassung hatte Stephan von Breuning (17.8.1774 Bonn – 4.6.1827 Wien) auf 2 Akte zusammengefaßt; die meisten Nummern wurden gekürzt, Roccos Goldarie fiel vorerst weg. Beethoven schuf die erste Fassung der Oper 1804/05, die zweite, weitgehend aus Kürzungen bestehende Version im Frühjahr 1806. Im Frühjahr 1814 unterzog er das Werk einer letzten Umgestaltung. Doch schon während seiner ersten Arbeitsphase schrieb er zu einigen Passagen mehrere Entwürfe, so für die Florestan-Arie rund 18, für den Schlußchor 10 Skizzen.
Schon in dem Singspielduett zwischen Jaquino und Marzelline griff Beethoven über das herkömmliche Genre hinaus, indem er das Orchester die wahren Gefühle Marzellines kommentieren läßt. Das Klopfen, das diesen auf zwei Ebenen geführten Dialog ständig unterbricht, erscheint durch die Orchesterillustration wie ein symbolhaft überhöhtes allgegenwärtiges Mahnen. Ähnlich kunstvoll sind die 4 monologisierenden »Arien« von Jaquino, Marzelline, Fidelio und Rocco zu einem Quartett (Mir ist so wunderbar) verwoben. Mit Roccos Goldarie kehrt Beethoven ein letztes Mal in den Bereich des Singspiels zurück, bevor mit dem Terzett Gut, Söhnchen, gut, hab immer Mut das eigentliche Drama seinen Anfang nimmt. In ihren beiden Szenen schildern Leonore und Florestan, nach einem den äußerlichen Anlaß beschreibenden Rezitativ, mit wehmütigem Blick zurück in die Vergangenheit ihre augenblickliche Seelenlage, bevor sie in der Schlußsequenz sich ihrer Situation bewußt werden und mit einem hoffnungsvoll – hymnischen Ausdruck schließen. Ebenso rückt Beethoven nach dem Trompetenfanal die Handlung auf eine zweite Ebene, entzieht Pizarro einer politischen Lösung und überantwortet das Drama einer übergeordneten Instanz.
Nach nur zwei Wiederholungen wurde Leonore 1805 abgesetzt. Bei der auf Drängen seiner Freunde erfolgten Umarbeitung, eher einer allgemeinen Kürzung, entstand die Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 op. 72a. Den Durchbruch erzielte die Oper aber erst in ihrer dritten, dieses Mal von Beethoven initiierten Gestalt (Georg Friedrich Treitschke schuf auf Wunsch Beethovens die endgültige Textfassung); ein Terzett Marzelline / Jaquino / Rocco (Ein Mann ist bald genommen) und ein Duett Marzelline / Fidelio (Um in der Ehe froh zu leben) fielen weg. Bei der zweiten Aufführung (26. Mai) wurde die noch heute dem Werk vorangestellte sogenannte Fidelio-Ouvertüre E-Dur gespielt. (Die Leonoren – Ouvertüre Nr. 1 C-Dur war 1806 für eine Prager Aufführung gedacht; sie blieb unvollendet.)
Fidelio, ein Ideendrama, mit dem Beethoven erzieherisch wirken und aufrütteln wollte, weil er die Aufgabe der Kunst in der ethischen Bildung des Menschen sah, entwikkelt sich vom Singspiel, dem »bürgerlichen Familienstück mit seinem doppelten Boden« (H. Goldschmidt) über die große Oper zum Oratorium. Durchgehend bestimmt die Musik als moralische Instanz (neben dem Wort) den Verlauf des Geschehens; die Situationen und die Handlung müssen sich den klaren, blockhaften Szenen wie dem bildhaft heroischen Zug des Geschehens unterordnen. Als Revolutionsoper oder, wie Ernst Bloch in »Das Prinzip Hoffnung« schrieb, als Drama der Utopie bleibt der Fidelio durch das im Finale geäußerte Hohelied der Gattenliebe ein Symbol für menschliche Harmonie und zugleich eine stete Aufforderung an die Menschen, ist dieses Werk »eine Legende der erfüllten Hoffnung« (Bloch), nicht die erfüllte Hoffnung selbst. In dieser Hinsicht hat die Oper die Künstler bis in die Gegenwart gereizt. Die von Otto Nicolai 1841 erstmals vor dem 2. Akt gespielte Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 wurde von Carl Anschütz 1849 zwischen den beiden letzten Szenen gespielt, eine Praxis, die Gustav Mahler in seiner stilbildenden Wiener Aufführung von 1904 aufnahm. Den oratorischen Gestus unterstrich Wieland Wagner durch Einführung eines Sprechers (Stuttgart 1954). Gottfried Wagner (Bonn 1977) und Jurij Ljubimow (Stuttgart 1986) ließen die 3. Leonoren-Ouvertüre am Ende der Oper spielen. Beethovens erste Fassung, deren Überarbeitung u. a. Romain Rolland bemängelt hat, wurde nach einer Rekonstruktion (Berlin 1905) gelegentlich wiederaufgeführt (Kiel 1978).