Bitterer Honig (Shelagh Delaney)

Delaney, Shelagh

geboren am 1939, in Salford, Lancashire,England erhielt im Alter von 19 Jahren den Beifall der Kritik und hatte einen ebenso grossen Publikumserfolg mit ihrem Stueck:Bitterer Honig (A Taste of Honey 1958). Zwei Jahre später, erhielt sie den Drama Critics‘ Circle Award for the play’s New York City production. Zwei Jahre später schrieb sie das Drehbuch für die Filmversion, die einen Akademiepreis gewann. Am Alter von 23 war sie eine der berühmtesten Verfasser ihrer Zeit. Seit damals hat sie ihre bemerkenswerte Vielseitigkeit wiederholt gezeigt. 1963 produzierte sie eine Sammlung Kurzeschichten: „Sweetly Sings the Donkey“, einige Fernsehenspiele, unter ihnen „Did your Nanny Come from Bergen?“(1970) und „St Martin’s Summer“ (1974) , Preise fuer: „Charley Bubbles and Dance with a Stranger“ (1982). Hoerspiel: „So Does the Nightingale“ (1980).

Kritik meiner Inszenierung am Duesseldorfer Schauspielhaus

Theater Heute Mai 1986
Wiederbegegnung mit einem Kultstück der Fünfziger Jahre: DAS LIED VON JOSEPHINE

Shelagh Delaneys «Bitterer Honig», 1986 in Düsseldorf
Shelagh Delaney war noch keine zwanzig Jahre alt, als 1958 ihr autobio- graphisch gefärbter Buehnenerstling «A Taste of Honey» in Joan Littlewoods Theatre Workshop uraufgeführt und alsbald im Londoner West End nach- gespielt wurde. Das Debüt-Stück war ein Riesenerfolg, den die berühmte Verfilmung von Tony Richardson 1961 noch verlängerte. Das alles ist bald dreißig Jahre her – klassisches Zeitmaß für das, was wir «eine Generation» nennen. Vor dreißig Jahren blickte Osborne «zurück im Zorn»; die Rock-n‘-Roll-Welle kündigte Revolten an, ein aufsässiger Geist in ganz Europa schickte sich an, die hehren Ideale bei der älteren Generation einzuklagen, die von ihr nach dem Krieg verkündet, nach dem Urteil der Jungen aber verraten worden waren. Gleichzeitig wollten die Jungen leben, leben, leben. Der Konformismus der Älteren, die sich im schwer erschufteten neuen Nachkriegswohlstand wohlig einzurichten begannen, rief den Nonkonformismus der Jungen auf den Plan. Das war die Grundsituation. Für die Jungen von heute, sind die Mittfünfziger Jahre nostalgisch geworden, ohne die entsprechende Erfahrung, hinter welcher der erlebte Krieg stand. Den Alten erscheinen die Jahre doppelbödig, von der Verklärung bis zum Menetekel. «Bitterer Honig» ist ein Produkt von damals und gewiß nicht für die Ewigkeit geschrieben. Merkwürdigerweise aber berührt es uns noch immer – oder es berührt uns schon wieder. Trifft es heute beim Wiedersehen als das Milieu- und Allerwelts-Stück, mit seinen Dauerthemen Verlassenheit, verratene Liebe und Brutalität, mit seiner Sinnsuche und der Sehnsucht nach Menschlichkeit? Oder als das Zeitstück einer inzwischen museumsreif gewordenen Epoche, deren Zeitgefühl partiell auf das heutige überschwappt? Das Zeitstück, das hinter allen «zwischen- menschlichen» Problemen im Grunde den Sozialprotest meint und die Suche nach der vermißten gesellschaftlichen Ethik?
Shelagh Delaney erzählt eine Geschichte aus dem Slum-Viertel von Manchester. Im Mittelpunkt steht die siebzehnjährige Josephine, die rundum angeekelt ist und herummault. Sie ist die Tochter einer alleinstehenden. egoistischen Trinkerin, fast schon einer Prostituierten. Sie lebt mit ihr zusammen, aber sie empfindet ihr gegenüber nur Hass. Am Ende der Bühnengeschichte, der wir nun im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspiels begegnen, wird sie doppelt und dreifach verlassen sein. Josephine hat einen Freund, einen schwarzen Matrosen. Aber als sie von ihm ein Kind erwartet, ist er längst davon auf Nimmerwiedersehen. Inzwischen hat ihre Mutter die schäbige Mansarde verlassen, in der beide leben. Sie hat, überstürzt und panisch, eine Ehe geschlossen mit einem Luden-Typ, der dunkle Geschäfte betreibt und reich ist. Josephine hat einen neuen Freund gefunden, einen Kunststudenten mit homosexuellen Wünschen. Er ist ihr Seelenfreund, der die Wohnung in Ordnung hält und ihr einreden will, die Kunstschule zu besuchen, denn sie habe Talent. Aber Josephine, kurz vor der Niederkunft, ist mit anderem beschäftigt. Das Kind haben oder nicht haben mögen: «Ich will sein Kind nicht», sagt sie zum Freund Geoffrey (Arpad Kraupa spielt ihn mit verhalten-konzentriertem Ausdruck), «was hat denn das alles für einen Sinn?» Und sie behält es dann doch. Der kleine, schwere Friede von Geoffrey und Josephine wird gestört, als unerwartet und ungebeten die Mutter zurück- kommt: Sie wolle ihrer Tochter beistehen in den Wochen vor der Geburt. In Wahrheit ist ihre windige Ehe mit dem Ludentyp kaputt. Als sie hört, daß ihr Enkelkind das Kind eines Schwarzen sein wird, bekommt sie einen hysterischen Anfall. Marianne Hoika, in Düsseldorf allzusehr aufs Laszive festgelegt, ist da von einiger Vehemenz, findet aber bei anderen Passagen Momente, in denen sie sich aus dem Klischee befreit und Ambivalenzen spüren läßt. Jetzt stürzt sie. panisch gejagt von dem Gedanken an den schwarzen Bastard, ins Freie, in die Kneipe, ihre eigentliche Heimat. Der sensible Geoffrey hat sich schon kurz zuvor abgesetzt. Er hat die ebenso egozentrische wie exzentrische, aufgesetzte Eifersucht der Mutter nicht ertragen. Josephine ist allein. Die Wehen setzen ein.
Erlebnis des Abends: Sabine Herken
Das ist subtil und genau entwickelt. Auftritte und Abläufe stimmen; die sparsamen Dialoge sitzen. Die psychischen Motivationen und deren Wirkungen und Gegenwirkungen sind klug beobachtet und plausibel. Das Stück hat keinen falschen Ehrgeiz; es spiegelt nichts vor, bleibt bei sich selber und hat – auch das ist wieder erlaubt: «Atmosphäre». Dies gilt auch für die erste Regie-Arbeit von Fritz Groß, er lenkt den Blick auf viele Facetten der Gefühlswelt, vor allem ihre mit dem Milieu korrespondierenden Deformationen: das trostlose Zimmer mit der abgeblätterten Tapete, den schäbigen Türen, der tristen Aussicht aus dem Fenster (Bühnenbild Hans-Georg Schäfer). Neben einer geschlossenen Ensemble-Leistung (mit Adolphos Sowah als Josephines schwarzer Liebhaber) ist das Erlebnis des Abends Sabine Herken. Sie ist von hoher und genauer Ausdruckskraft. Sie ist verloren, und die Bühne liegt da in Verlorenheit. Sie ist aggressiv, etwa gegen den Freund der Mutter, den Matthias Friedrich überlegen zu einem Backpfeifen-Smiley macht, einer Schlagetot-Seele aus dem Groß- stadtdschungel – und schon herrscht Revoltestimmung. Sie freut sich auf das Baby und sie hat den Ausdruck ahnender Innigkeit; gleich danach schlägt sie die Freude in sich tot: Da ist nicht nur die Angst vor morgen im Raum, auch die vor sich selber und vor dem, was die Welt aus ihr gemacht hat.
Hans Schwab-Felisch