Don Giovanni (W. A. Mozart)

Don Giovanni  (W. A. Mozart)

(vollständiger Titel: Il dissoluto punito o sia Il Don Giovanni / Der bestrafte Wüstling oder Don Juan),
Dramma giocoso in 2 Akten von Wolfgang Amadeus Mozart.
Text von Lorenzo da Ponte.
Uraufführung: 29.10.1787 Prag, Gräflich Nostitzsches Nationaltheater (heute Tyl-Theater).

PERSONEN:
Don Giovanni, junger und außerordentlich zügelloser Edelmann (Bariton) –
Il Commendatore / Der Komtur (Baß) –
Donna Anna, seine Tochter, Verlobte Don Ottavios (Sopran) –
Don Ottavio (Tenor) –
Donna Elvira, Edeldame aus Burgos, von D. Giovanni verlassen (Sopran) –
Leporello, Diener Don Giovannis (Baß) –
Masetto, ein junger Bauer (Baß) –
Zerlina, Bäuerin, Verlobte Masettos (Sopran) –
Bäuerinnen und Bauern, Diener, Stimmen aus der Tiefe der Erde.

ORT UND ZEIT: Eine Stadt in Spanien, 17./18. Jh.
SPIELDAUER: ca. 3 Stunden (1. Akt: ca. 95 min.; 2. Akt: ca. 85 min.).

Katharina Warken und Fabrice Dalis, Zwingenberg 1998

1. Akt. Vor dem Haus des Komturs hält Leporello in dunkler Nacht Wache. Plötzlich wird es laut: Don Giovanni stürzt heraus, verfolgt von Donna Anna, die den ihr unbekannten Eindringling an der Flucht zu hindern sucht. Auf ihre Hilferufe eilt der Komtur hinzu und stellt Don Giovanni zum Zweikampf, in dem der alte Edelmann tödlich verwundet wird. Entsetzt findet ihn Donna Anna, die ins Haus geeilt war, um ihren Verlobten zu holen. Über der Leiche des Vaters muß Don Ottavio ihr schwören, an dem Mörder blutige Rache zu üben. – Kaum hat sich Don Giovanni mit seinem Diener davongemacht, ist er auf der Suche nach neuen Liebesabenteuern. Schon wittert er wieder eine Frau in seiner Nähe, und in der Tat: Eine vornehme Dame, die sich allein glaubt, klagt um einen Geliebten, der sie verlassen hat und den sie wiederzufinden hofft. Don Giovanni spricht sie an – und prallt zurück: Es ist Donna Elvira. Ihren Vorwürfen ausweichend, überläßt er es Leporello, ihr klarzumachen, daß sie nur eine von Unzähligen ist, die Don Giovanni verführt und verlassen hat (Arie Madamina, il catalogo e questo / Schöne Dame, dies genaue Register?). –
Don Giovanni trifft auf eine Hochzeitsgesellschaft, und da ihn die Braut, Zerlina, interessiert, lädt er alle auf sein Schloß ein. Verständlich, daß der Bräutigam, Masetto, nur widerwillig mitgeht (Arie Ho capito, signor si / Ich hab verstanden). Mit einem Heiratsversprechen will Don Giovanni Zerlina gefügig machen (Duettino La ci darem la mano / Reich mir die Hand, mein Leben).

Paul Gay Sarah Gross und Johannes von Duisburg Zwingenberg 1998

Donna Elvira tritt dazwischen und nimmt Zerlina unter ihren Schutz (Arie Ah, fuggi il traditor / O flieh, Betrogene, flieh). Auf der Suche nach dem Mörder treffen Donna Anna und Don Ottavio auf Don Giovanni und bitten ihn um Mithilfe. Donna Elvira warnt die beiden vor dem Verräter (Quartett Non ti fidar, o misero / Traue dem glatten Heuchler nicht). Vergeblich versucht Don Giovanni sie als verrückt hinzustellen; Donna Anna und ihr Verlobter werden mißtrauisch, ja, Donna Anna ist ganz sicher, daß Giovanni es war, der in ihr Zimmer eindrang. Jetzt erst schildert sie Don Ottavio den ganzen Vorgang und stachelt noch einmal seine Rache an (Arie Or sai, chi l’onore / Du kennst nun den Frevler). Ottavio ist bereit, alles für sie zu tun (Arie Dalla sua pace / Nur ihrem Frieden?). – Für den Abend läßt Don Giovanni ein großes Fest auf seinem Schloß vorbereiten (Champagnerarie: Fin ch’han dal vino / Treibt der Champagner erst?). Zerlina gelingt es, Masettos Eifersucht zu besänftigen (Arie Batti, batti, o bel Masetto / Schmäle, tobe, lieber Junge), und übersteht auch eine weitere verfängliche Situation mit Don Giovanni und Masetto. Als Gäste werden auch drei maskierte Personen zum Fest gebeten: Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio. Hier wollen sie Don Giovanni stellen. Während des Festtreibens erklingen gleichzeitig drei Tänze, ein Menuett, ein Contretanz und ein Deutscher Tanz. Don Giovanni gelingt es, Zerlina in ein Nebenzimmer zu drängen. Plötzlich ertönen ihre Angstschreie. Man eilt ihr zur Hilfe. Don Giovanni hat die Kühnheit, Leporello als den Missetäter zu präsentieren, doch niemand glaubt ihm. Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio nehmen die Masken ab und drohen Don Giovanni das nahe Ende an (Trema, trema, celerato / Ehrvergeßner, schweig und zittre).

Bild: Daniel Böhm und Hélène Obadia, Zw-berg 1998

2. Akt. Leporello hat genug, er will seinen Dienst aufkündigen, aber mit einem Beutel Geld läßt er sich erneut ködern. Don Giovanni hat es jetzt auf Donna Elviras Zofe abgesehen. Um ans Ziel zu gelangen, tauscht er im nächtlichen Dunkel vor Elviras Haus Hut und Mantel mit seinem Diener. Als Elvira am Fenster erscheint, mimt Leporello seinen Herrn, während dieser hinter ihm mit süßen Bitten um Vergebung sie bewegt, herunterzukommen. Mit dem falschen Don Giovanni tauscht sie Koseworte, der echte macht plötzlich mörderischen Lärm und jagt die beiden davon – das Haus ist frei, Don Giovanni kann zur Laute greifen und der Zofe ein Ständchen singen (Canzonetta Deh! vieni alla finestra / Horch auf den Klang der Zither). Da machen sich Bauern und Masetto bemerkbar. Sie suchen Don Giovanni, um ihn totzuschlagen. Immer noch in Leporellos Kleidern gelingt es Don Giovanni, sie in die Irre zu führen, Masetto abzusondern und kräftig zu verprügeln. Für ihren völlig zerschlagenen Bräutigam hat Zerlina aber süßen Trost (Arie Vedrai, carino / Wenn du fein artig bist). – Leporello, noch mit Donna Elvira als falscher Giovanni unterwegs, wird von Zerlina und Masetto, dann von Donna Anna und Ottavio gestellt. Sie stürzen sich mit gezückten Waffen auf ihn, nur Donna Elvira bittet um Erbarmen für ihren – vermeintlichen – Geliebten. Um Gnade winselnd wirft Leporello Hut und Mantel seines Herrn ab und entflieht. Don Ottavio erneuert seine Mahnung, den wahren Übeltäter zu fassen. Er setzt seine Suche nach ihm fort und bittet seine Freunde, unterdessen Donna Anna beizustehen (Arie Il mio tesoro / Folget der Heißgeliebten). Donna Elvira empfindet aber immer noch mehr Mitleid als Rache (Arie Mi tradì / Mich verriet der Undankbare). – Auf einem Friedhof treffen sich Don Giovanni und Leporello wieder. Ausgelassen berichtet Giovanni von seinen Abenteuern, da unterbricht ihn eine geisterhafte Stimme: das Lachen werde ihm noch vor Morgengrauen vergehen. Seinen vor Angst schlotternden Diener zwingt er, das Standbild über dem Grab des Komturs, von dem die Stimme kam, zum Abendessen auf das Schloß einzuladen. Die Statue nickt und läßt ein deutliches »Ja!« ertönen. –
Ottavio bittet Donna Anna in aller Ergebenheit, sie durch die Verbindung mit ihm trösten zu dürfen, aber sie kann sich zu diesem Schritt noch nicht entschließen (Arie Non mi dir /Sag mir nicht, o mein Geliebter). – Auf seinem Schloß läßt sich Don Giovanni von Leporello – der sich dabei heimlich selbst bedient – ein festliches Mahl auftragen. Musiker spielen dazu beliebte Opernmelodien von Soler, Sarti und Mozart. Verzweifelt erscheint noch einmal Elvira, um ihren einstigen Geliebten zu Einsicht und Umkehr zu bewegen. Umsonst, die Frauen und den Wein preisend, weist er sie spöttisch ab. Im Hinausgehen prallt Donna Elvira mit einem Schrei zurück und flieht durch einen anderen Ausgang: Die Statue vom Kirchhof pocht an die Tür (Don Giovanni, a cenar teco / Don Giovanni, du hast zum Nachtmahl mich geladen?). Jede irdische Speise zurückweisend, fragt sie Don Giovanni, ob er seinerseits bereit sei, eine Einladung anzunehmen. Don Giovanni bejaht und gibt seine Hand darauf. Diese Hand fest und fester haltend, fordert die Statue ihn zur Reue auf, mehrfach und immer drohender. Don Giovanni gibt jedes Nein wie einen Degenstoß zurück. Da beginnt die Erde zu beben, sie öffnet sich, Flammen brechen hervor und verschlingen Don Giovanni. –
Sobald der Sturm verebbt ist, finden sich alle Opfer und Gegenspieler des »bestraften Missetäters« zusammen. »Also stirbt, wer Böses tat«, lautet ihre Nutzanwendung für das Publikum. Für sich selbst ziehen auch sie die Konsequenz: Donna Anna bittet Don Ottavio erstaunlicherweise um ein weiteres Jahr Geduld, Donna Elvira geht ins Kloster, Zerlina mit Masetto nach Hause zum Essen, Leporello ins Wirtshaus, um einen neuen Herrn zu suchen.

Daniel Böhm, Hélène Obadia, Fabrice Dalis, Katharina Warken, Hermine May, Paul Gay

Nachbetrachtung

Nach dem herausragenden Erfolg, den der Figaro Ende 1786 in Prag erlebt hatte, gab Pasquale Bondino Mozart den Auftrag zu einer Oper eigens für Prag. Den Stoff schlug da Ponte vor. Da dieser gleichzeitig noch an zwei Opern für Martín y Soler und Salieri arbeitete, bedeutete diese Wahl für ihn eine große Erleichterung; als Vorbild diente da Ponte Giuseppe Gazzanigas am 5.2.1787 im Teatro San Moisè in Venedig uraufgeführter Don Giovanni o sia Il convitato di pietra mit dem Libretto von Giovanni Bertati. Der Stoff stammt aus Spanien und erhielt seine erste literarische Gestalt durch Tirso de Molinas El burlador de Sevilla y convidado de piedra (aufgeführt 1630). Weitere Dramatisierungen stammen u. a. von Molière (1665) und Goldoni (1736); durch das Volks- und Puppentheater, das sich der Figur von Don Juans Diener annahm, drang der Stoff im 18. Jahrhundert in das Genre der Opera buffa vor – ebenfalls in Venedig wurde am 5.2.1787 Francesco Gardis tragikomischer Il nuovo convitato di pietra aufgeführt; im gleichen Jahr folgte noch Calegaris Il convitato di pietra. Bei Bertati, der Tirso de Molinas Grundkonstellation folgte, fand da Ponte bereits alle Situationen seines späteren Librettos vor, allerdings ohne die individuelle Charakterisierung, die erst da Ponte den Figuren zu geben verstand.
Da Ponte folgte bis zum Quartett des 1. Aktes (Nr. 9) und wieder ab der Friedhofsszene (einige Namensänderungen eingeschlossen) weitgehend Bertati. Den musikalischen Grundduktus des Werkes bestimmen ein dunkel glühendes Pathos und eine erotische Triebkraft, die unstillbar um Leid, Leidenschaft, Schmerz, Sinnlichkeit und Tod kreisen. Die Gewalt dieser Emotionen gibt der Handlung eine bis zu Don Giovannis Untergang anhaltende finstere Dramatik.
Don Giovanni, der Lüstling, der sich durch seinen Mord selbst aus der Gesellschaft ausgegliedert hat, erscheint als ein von Dämonie gepeitschter Verführer, der seinem Untergang bewußt zustrebt. Verführerisch und lockend ist das Duett mit Zerlina La ci darem la mano, voll dunkler Vitalität strotzt seine sogenannte »Champagnerarie«. Ausgewogengen mit jeweils 12 Nummern ist das Gleichgewicht zwischen Soloarie und Ensemble.
Auf meisterhafte Weise überblendet Mozart den historischen, im Spanien des 17. Jahrhunderts angesiedelten Stoff während Don Giovannis Abendbankett in die eigene Gegenwart durch die Anspielungen auf drei allgemein bekannte Opern, die im Wien bzw. Prag dieser Jahre aufgeführt worden waren: Giuseppe Sartis Fra i due litiganti (1782), Martín y Solers Una cosa rara (1786) und Figaros Non piu andrai aus Mozarts eigenem Nozze di Figaro.
Mozart traf am 4.10. mit Constanze in Prag ein (Mörike malte diese Reise in seiner Novelle Mozart auf der Reise nach Prag frei aus) und überwachte die Einstudierung. Die ursprünglich als Festvorstellung zu Ehren des Prinzen von Sachsen gedachte Premiere wurde zweimal verschoben. Für die Wiener Aufführung am 7.5.1788 komponierte Mozart 3 Stücke nach: Ottavios Il mio tesoro wurde im 1. Akt durch Dalla sua pace ersetzt (in heutigen Aufführungen werden meist beide Arien gesungen): hinzu kamen Elviras Mi tradì und das heute fast immer gestrichene Duett Zerlina/Leporello Per queste tue manine / Bei diesen kleinen Händchen. Weggelassen wurde in Wien, wie vielfach dann im 19. Jahrhundert, die Schlußszene nach Don Giovannis Tod. Die erste deutschsprachige Übersetzung stammt von H. G. Schmieder (1789 Mainz); im 20. Jahrhundert setzten sich die Übersetzungen von H. Levi (1896) und G. Schünemann (1940) durch; Walter Dürrs Fassung für die Neue Mozart-Ausgabe (1977) wurde schon 1969 erstmals in Salzburg gespielt.
Die Zeugnisse zu Don Giovanni sind vielfältig, und alle unterstreichen den Ausnahme- charakter des Stückes. E. T. A. Hoffmann – für ihn war der Giovanni die »Oper aller Opern« – hat in seiner Don Juan-Erzählung (1813) das Verhältnis Donna Anna – Don Giovanni als Liebesbeziehung interpretiert. Goethe schrieb 1797 an Schiller, »Ihre Hoffnung, die Sie von der Oper hatten [nämlich daß aus ihr sich »das Trauerspiel in einer edlern Gestalt« entwickeln würde], würden Sie neulich im Don Juan auf einen hohen Grad erfüllt gesehen haben«, und Kierkegaard bezeichnete das Werk in seiner Musikästhetik von 1843 Entweder–Oder als »Inkarnation der Genialität des Sinnlichen«. Auch Brecht (»dieser Gipfel ist nie wieder erreicht worden«) und die Philosophen Ernst Bloch und Ortega y Gasset waren Bewunderer des Don Giovanni.
Die Bühne hat sich indessen mit dieser Oper nicht leichtgetan. Bühnengeschichte machten Max Slevogts Ausstattungen für Dresden (1924), gerühmt wurde Gustav Mahlers Aufführung mit Alfred Rollers beweglichen Bühnentürmen (Wien 1905, ohne Schlußsextett). 1917 inszenierte Ernst Lert die Oper in Leipzig auf der Basis von Kierkegaards Deutung, kalt und klar realisierten Klemperer und Düllberg den Don Giovanni 1928 an der Berliner Kroll-Oper, und als Mysterienspiel stellten ihn Furtwängler und Graf 1953 in Salzburg auf die Bühne. Bei Bohumil Herlischka (München 1974) brachte sich Don Giovanni selbst um, bei John Dew (Bielefeld 1983) war Don Ottavio der Mörder. Joseph Losey gelang 1979 eine überzeugende Adaption der Oper an den Film.