Kasimir und Karoline (Ödön von Horváth)

Kasimir und Karoline
(Ödön von Horváth)

Und blühn einmal die Rosen
Ist der Winter vorbei
Nur der Mensch hat alleinig
Einen einzigen Mai
Und die Vöglein, die ziehen
Und fliegen wieder her
Nur der Mensch
bald er fortgeht
Nachher
kommt er nicht mehr.
— Erna

Inhalt:

Kasimir und Karoline befinden sich auf dem Münchner Oktoberfest. Am Tag zuvor hat Kasimir seinen Arbeitsplatz, einen Chauffeurposten, verloren. Er ist deshalb nicht in der Stimmung sich zu amüsieren. Karoline ist froh und ausgelassen. Da sie ihre verschiedenen Lebensbedingungen nicht verstehen können beginnen sie sich zu streiten und trennen sich schließlich. An einer Eisbude lernt dann Karoline den Zuschneider Schürzinger kennen. Die beiden unterhalten sich über den Zeppelin, die große Attraktion des Oktoberfestes, der gerade gestartet ist, und über die Menschen kreist. Als die Konversation auf das Thema Liebe fällt meint Schürzing, daß die Liebe bei jeder Frau nachläßt, wenn ihr Mann arbeitslos ist. Karoline hingegen ist anderer Meinung. Dann trifft sie wieder auf Kasimir und die beiden streiten abermals. Da läßt Karoline Kasimir einfach stehen und geht mit Schürzing zur Achterbahn, wohin ihnen aber Kasimir folgt. Als auch er an der Achterbahn ankommt trifft er „den Merkl Franz und dessen Erna“ und schließt sich ihnen an. Als Schürzinger und Karoline zurückkommen beschimpft er seine Braut sogar so daß sich diese wiederum entfernt.

Uraufführung des Volksstückes am 18. 11. 1932 im SchauspielhausLeipzig Regie: Francesco von Mendelssohn

Beim „Toboggan“ macht Karoline dann die Bekanntschaft zweier, schon angetrunkener Herren, des Komerzialrates Rauch, der der Chef von Schürzing ist, und dessen Freundes Speer. Zusammen trinken sie zuerst einen Schnaps und besuchen dann die Abnormitätenschau. Unterdessen sitzt Kasimir mit Merkl Franz und Erna bei einem Bier. Kasimir beschließt sich zu betrinken und will dann Selbstmord begehen, doch er verwirft diesen Gedanken wieder. Zur selben Zeit schickt Rauch Schurzing und Speer vom Hippodrom weg um Karoline unter einem Vorwand zu sich nach Hause zu verschleppen. Auf einem Parkplatz plündert derweil „der Merkl Franz“ Privatautos aus, während Kasimir und Erna Schmiere stehen. Diese stoßen auf Karoline und Rauch, die gerade ins Auto einsteigen. Während sie sich verabschieden wird „der Merkl Franz“ von der Polizei erwischt und festgenommen. Im Laufe des Geschehens kommen sich Erna und Kasimir immer näher und verlieben sich schließlich ineinander. Der letzte Versuch Karolines, die ihrem Verführer entflohen ist, sich mit Kasimir zu versöhnen scheitert nicht zuletzt an diesem Grund. Als Schurzinger wieder erscheint, kommen sich Karoline und er auch immer näher. Aus diesen Gründen geht nun die Beziehung zwischen Karoline und Kasimir endgültig in die Brüche.

Zitate:

„Ich bin eine typisch altösterreichisch-ungarische Mischung: magyarisch, kroatisch, deutsch, tschechisch – mein Name ist magyarisch, meine Muttersprache ist deutsch. […] Allerdings: der Begriff „Vaterland“, nationalistisch gefälscht, ist mir fremd. Mein Vaterland ist das Volk. […] Meine Generation, die in der großen Zeit [während des Ersten Weltkriegs] die Stimme mutierte, kennt das alte Österreich-Ungarn nur vom Hörensagen, jene Vorkriegsdoppelmonarchie, mit ihren zweidutzend Nationen, mit borniertestem Lokalpatriotismus neben resignierter Selbstironie, mit ihrer uralten Kultur, ihren Analphabeten, ihrem absolutistischen Feudalismus, ihrer spießbürgerlichen Romantik, spanischen Etikette und gemütlicher Verkommenheit.
Meine Generation ist bekanntlich sehr mißtrauisch und bildet sich ein, keine Illusionen zu haben. Auf alle Fälle hat sie bedeutend weniger als diejenige, die uns herrlichen Zeiten entgegengeführt hat. Wir sind in der glücklichen Lage, glauben zu dürfen, illusionslos leben zu können. Und das dürfte vielleicht unsere einzige Illusion sein.
Ich weine dem alten Österreich-Ungarn keine Träne nach. Was morsch ist, soll zusammenbrechen, und wäre ich morsch, würde ich selbst zusammenbrechen, und ich glaube, ich würde mir keine Träne nachweinen.“

[Horváth, Fiume, Belgrad, […], 1929, kA 11, 184 f]

„Und um einen heutigen Menschen realistisch schildern zu können, muß ich ihn also dementsprechend reden lassen. […] Mit vollem Bewußtsein zerstörte ich das alte Volksstück, formal und ethisch – und versuchte als dramatischer Chronist die neue Form des Volksstückes zu finden. […] Man wirft mir vor, ich sei zu derb, zu ekelhaft, zu unheimlich, zu zynisch und was es dergleichen noch an soliden, gediegenen Eigenschaften gibt – und man übersieht dabei, daß ich doch kein anderes Bestreben habe, als die Welt so zu schildern, wie sie halt leider ist. – Und daß das gute Prinzip auf der Welt den Ton angibt, wird man wohl kaum beweisen können – behaupten schon. – Der Widerwille eines Teiles des Publikums beruht wohl darauf, daß dieser Teil sich in den Personen auf der Bühne selbst erkennt – und es gibt natürlich Menschen, die über sich selbst nicht lachen können – und besonders nicht über mehr oder minder bewußtes, höchst privates Triebleben.“

[Interview Horváth / Cronauer, 1932, kA 11, 201 ff]