Rose Bernd (Gerhart Hauptmann)

Rose Bernd (Gerhart Hauptmann)

ERSTER AKT
Flamm, bestürzt, springt auf, hinter den Busch und verschwindet. Rose steht schnell auf, streicht hastig das Haar und die Kleider zurecht, sieht sich angstvoll um, bemerkt niemand, nimmt alsdann die Hacke und beginnt das Kartoffelland zu bearbeiten… Nach einem Weilchen kommt, von ihr nicht bemerkt, der Lokomobilenmaschinist Arthur Streckmann im Sonntagsstaat. Er ist ein sogenannter schöner Mann, groß, breitschultrig, in seinem Wesen von einer geckenhaften Gewichtigkeit. Er hat einen langen, bis auf die Brust reichenden blonden Bart. Man sieht an seiner Haltung, seiner Kleidung, die, vom rückwärts sitzenden Försterhütchen an bis zu den spiegelblank geputzten Schaftstiefeln, dem Gehrock und der gestickten Weste, tadellos ist, daß Streckmann außergewöhnlich viel sowohl von sich hält als auch auf sich hält und daß er sich seiner besonderen Schönheit vollkommen bewußt ist.
STRECKMANN, als ob er jetzt erst Rose bemerkte, mit geschraubt schönem Organ.
Tag, Bernd Rosine.
ROSE wendet sich erschrocken. Tag, Streckmann! Unsicher. Wo kommst’n du her ? — Aus der Kirche?
STRECKMANN. Ich hab‘ mich zeitlicher fortgemacht.
ROSE, erregt und mit Vorwurf. Weg’n was denn ? — Konnt’st nicht aushalt’n die Predigt?
STRECKMANN, forsch. Halt… weil’s auch so schön heute draußen is! — Ich hab‘ auch mein Weib in der Kirche gelassen. Ma muß auch mal für sich selber sein.
ROSE. Ich tät‘ lieber in der Kirche sein.
STRECKMANN. Weiber gehören auch in die Kirche.
ROSE. Du hast wohl auch Sünd’n genug auf’n Puckel! Du könnst auch deswegen was abbeten gehn.
STRECKMANN. Mit unserem Herrgott steh‘ ich sehr gut! Er nimmt’s nicht sehr genau mit meinen Sünden.
ROSE. Na, na.
STRECKMANN. A kümmert sich nich viel um mich.
ROSE. Ein eingebild’ter Laps bist du! Streckmann lacht voll und affektiert. Wenn du ein richtiger Mann wärst, dann bräuchtest du dein Weib zuhause nicht durchprügeln.
STRECKMANN, mit leuchtenden Augen. Erst grade! Erst recht! Das gehört sich so! Euch Weibern muß man den Meister zeigen.
ROSE. Bild dir keine Schwachheiten ein.
STRECKMANN. Jawohl! So ist‘s! Was Recht is, muß Recht bleiben ! Und da bin ich auch stets immer zum Ziele gekommen. Rose lacht gezwungen auf. Die Leute sagen, du willst wegziehn von Flamm ?
ROSE. Ich bin doch bei Flamm weiter gar nicht im Dienste. Du siehst’s ja, ich hab‘ wohl andres zu tun.
STRECKMANN. Du hast doch erst gestern bei Flamm geholfen.
ROSE. Meinswegen! Ich helfe, ich helfe nicht! — Bekümmert ihr euch um eure Sachen.
STRECKMANN. Ist’s wahr, der Vater is umgezogen?
ROSE. Zu wem denn ?
STRECKMANN. Zu Augusten ins Lachmannsche Haus.
ROSE. Das hat August erst noch gar nicht gekauft! — Da wissen se mehr wie ich, die Leute.
STRECKMANN. Se sagen, ihr wollt bald Hochzeit machen.
ROSE. O redet ihr meinetwegen immerzu.
STRECKMANN, nach einigem Stillschweigen, nachdem er sich ihr einige Schritte genähert hat, breitbeinig aufgepflanzt. Recht haste! Das kommt noch immer zurecht! — A Prachtmädel wie du hat’s nicht ängstlich mit Heirat’n: die soll sich erst richtig ausamisieren! Ich lacht’n ja auch ins Gesicht. Und’s mocht’s ja dem Kerl auch keiner nicht glauben.
ROSE, schnell. Wer sagt’s denn ?
STRECKMANN. Keil August!
ROSE. August sagt’s? — Das hat er von dem verdammten Rumred’n.
STRECKMANN, nach einigem Stillschweigen. August is ein kränklicher Kerl…
ROSE. Ich will nichts hören! Laßt ihr mich zufrieden! Euer Gehändel schert mich nicht! Da is einer grad soviel wert wie der andre.

Bild: Guenter Schaupp und Veronika Nickl, Esslingen 1994